Web Cyberfahnder
über Suchmaschinen und -strategien
  Cybercrime    Ermittlungen    TK & Internet    Literatur    intern    Impressum 
Februar 2009
20.02.2009 PTB
     
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift Posttraumatische Belastungsstörung
 

 
Florian Rötzer verwendet in die Abkürzung PTDS (1) und meint die Posttraumatische Belastungsstörung (2), die in verschiedenen anderen Quellen als PTB oder als PTBS abgekürzt wird, im Englischen jedoch als Posttraumatic Diagnostic Scale und eben PTDS bezeichnet wird.

Mit der PTB, ihren Ursachen, Wirkungen und Folgen habe ich mich erstmals im vergangenen Jahr auseinandersetzen müssen. Ich bin weder Psychiater noch Psychologe und habe nur einen oberflächlichen Eindruck gewinnen können, der den Anschein einer noch strittigen Forschungsrichtung vermittelt.

Wie lassen sich die außergewöhnlichen und irrational wirkenden Reaktionen von Opfern von Naturkatastrophen oder Gewaltaktionen erklären, die unter äußerem Druck angepasst, zustimmend und persönlichkeitsfremd agieren? Warum äußern sich manche Zeugen objektiv unglaubhaft und scheint ihre innere Wahrnehmung undifferenziert und borniert zu sein?

In Deutschland kam diese Frage meiner Erinnerung nach erstmals 1973 im Zusammenhang mit dem Stockholm-Syndrom auf (3), weil sich einzelne Opfer einer Geiselnahme mit ihren Geiselnehmern verbündeten und sie unterstützten.

Wurde dabei ein archaischer Alter Ego (4) oder ein Mister Hyde (5) aktiviert? Wenn das so wäre, dann könnte dem Verursacher kein Vorwurf gemacht werden. Ups, ist halt passiert.
 

 
Dem ist aber nicht so.

 Was PTB-Opfer machen, machen sie besonders gut - ist mir die Äußerung eines sachverständigen Zeugen noch gut in Erinnerung.

Der Auslöser einer PTB ist ein als lebensbedrohlich empfundenes Ereignis oder eine zeitlich gestreckte Gewaltsituation. In Betracht kommen Naturkatastrophen, Unfälle, Kriegserfahrungen, Vergewaltigungen, gewaltsame Gefangenschaften und vergleichbare, jedenfalls außergewöhnliche Erfahrungen (6).

Sie führen zu einer Verhaltensblockade. Das PTB-Opfer funktioniert nach dem "Willen" einer natürlichen Extremsituation oder eines Schergen und ist nicht in der Lage, seine gewohnten Verhaltensweisen, Moralvorstellungen und Tagesabläufe zu leben. Es funktioniert.

Dahinter mag eine natürliche und archaische Überlebensstrategie stecken, die es Lebewesen und schließlich auch Menschen ermöglicht, selbst in Extremsituationen zu überleben, indem sie einfach funktionieren und das gewohnte, übliche und umweltkritische Verhalten abgeschaltet wird, um zunächst einmal weiter zu leben. Also eine Art "Superstress", der im Kopf passiert und über die einfachen biochemischen Ausschüttungen von Zucker und Adrenalin hinaus geht.
 

zurück zum Verweis  
   

 
Zur Erklärung gibt es eine biochemische Theorie. Danach führt das lebensbedrohliche Ereignis zur Ausschüttung von Cortisol (7), das zu einer Bläschenbildung auf der Verbindungsstrecke zwischen den beiden Gehirnhälften führen soll. Ich habe es den "Bus" zwischen den beiden Gehirnhälften genannt (8). Die Wirkung soll jedenfalls sein, dass die kognitiven und emotionalen Erinnerungsbilder, die in den Gehirnhälften getrennt gespeichert sind, nicht mehr deckungsgleich verbunden werden können.

Das führt dazu, dass PTB-Opfer auf Dauer Erinnerungsfehler und Flashbacks haben, wobei sie auf äußere Signale unerwartet und wie unter der ursprünglichen Stresssituation reagieren.

Eine Therapie dagegen ist langfristig und nur begrenzt Erfolg versprechend.

Wenn das so stimmen würde, dann könnte eine PTB diagnostisch mit chemischen oder physikalischen Methoden nachgewiesen werden.

Dem widerspricht ein anderer, der wohl herrschende Erklärungsansatz. Er ist auch neurologisch, aber nicht streng biochemisch, und diagnostiziert die PTB nur anhand von psychiatrischen und psychotherapeutischen Untersuchungen. Auch er verspricht nur eine langfristige und nicht immer erfolgreiche Therapie.
 

 
Das Ergebnis ist unabhängig von den therapeutischen Ansätzen dasselbe. PTB-Opfer sind zunächst einmal nicht mehr in der Lage, ihr gewohntes Leben zu führen. Sie sind eingeschränkt arbeitsfähig und beschränkt sozialfähig.

Die PTB-Forschung setzte erst bei den Veteranen des Vietnam-Krieges ein und konnte dabei auf alte Studien nach dem Korea-Krieg aufbauen. Ich vermute, dass die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges und der Vertreibung dieselben Symptome gezeigt haben - ältere Ereignisse dürften dasselbe Potential gehabt haben.

Die strafrechtliche Schuldfrage bei PTB-Opfern ist interessant. Mehrere Sachverständige vertreten die Auffassung, dass PTB-Opfer zwar nicht in ihrer Einsichtsfähigkeit eingeschränkt sind, sie wissen also, dass sie normativ falsch handeln, aber nicht nach dieser Einsicht handeln können. Sie sind in ihrer Steuerungsfähigkeit mehr oder weniger eingeschränkt.

Mein Fazit: Ungewöhnliche, sprunghafte und borniert wirkende Zeugenaussagen können die Auswirkung einer krankhaften Erlebnisverarbeitung infolge einer PTB sein. Wenn der Zeuge nicht lügt, auch das ist möglich, so sind seine Erinnerungsbilder richtig, aber falsch zeitlich und situativ zugeordnet. Sie klumpen sozusagen um besondere Ereignisse herum. Das Ereignis wirkt wie ein Magnet und verhindert eine intellektuelle raumzeitliche Differenzierung.
 

zurück zum Verweis  
   

 
Eine peinliche politische Dimension bekommt das Thema durch die militärische Praxis in den USA. Kriegsveteranen, die nur psychisch geschädigt sind, aber nicht durch körperliche Verletzungen oder Amputationen, wird die Kriegsverwundetenauszeichnung Purple Heart und die damit verbundenen (kleinen) Hilfen verweigert (9).

Telepolis zitiert den PR-Chef einer Veteranenorganisation: "Man muss sein Blut vergossen haben durch ein Kriegsgerät in den Händen eines Feindes der Vereinigten Staaten. Vergossenes Blut ist das Kriterium." Einfach nur "Macke" reicht ihm nicht.

In Großbritannien besteht ein Zehntel der Häftlingen aus Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan im Einsatz waren (10). Nach einer hier zitierten Studie sollen viele der Kriegsheimkehrer unter einer PTB leiden.

Eine PTB kann nach meinem Eindruck kriminelles Verhalten aber nur dann fördern, wenn eine äußere Einwirkung ein Verhaltensziel formuliert und die Umsetzung verlangt. Ich vermute eine andere Ursache: PTB-Opfer benötigen eine behutsame soziale und psychotherapeutische Wiedereingliederung. Dort, wo sie fehlt und die Folgen der PTB die normale Leistungsfähigkeit im Arbeitsleben behindert, können die Opfer wirtschaftliche und andere Misserfolge erleben, die ihrerseits abweichendes Verhalten unterstützen könnten. Kriminelles Verhalten wäre dann keine unmittelbare Folge der Krankheit, sondern eine mittelbare, die aus der Desintegration des Erkrankten stammt.
  

 
Rund 500 Bundeswehrsoldaten sollen nach Auslandseinsätzen unter PTB leiden oder gelitten haben (11). Ihnen hat der Bundestag jetzt Hilfe versprochen.

Die Tiefe und Wirkungen einer PTB sind unterschiedlich, wie ich jetzt weiß. Mit einer guten psychotherapeutischen Betreuung lässt sie sich behandeln und die überwiegenden Fälle, vor allem die schwächeren Traumata, dürften sich auch heilen lassen. Schwer traumatisierte PTB-Opfer können stabilisiert und das Krankheitsbild gelindert werden. Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung könnten sie langfristig oder sogar ein Leben lang unter ihren Folgen leiden.

Ich befürchte, dass die PTB vorübergehend zu einem Modebegriff für jedwede Befindlichkeitsstörung wird. Das ist schade und das wird sie als definiertes und abgrenzbares Krankheitsbild überstehen. Solche Moden haben auch ihr Gutes, weil sie eine bislang wenig bekannte Erkrankung zu einer allgemeinen Bekanntheit verhelfen.

Der Weg, den die Bundestagsinitiative geht, ist ungewöhnlich vorausschauend, leise und sensibel. Das ist man von der Politik kaum noch gewohnt.
 

zurück zum Verweis Anmerkungen
 


(1) Florian Rötzer, Mit einem Betablocker Angst auslöschen, Telepolis 17.02.2009

(2) Posttraumatische Belastungsstörung

(3) Stockholm-Syndrom

(4) Alter Ego

(5) Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde

(6) Die [ (2)] verweist auch auf die "Kriegszitterer", deutsche Überlebene des Ersten Weltkrieges, und das Post Vietnam Syndrome - PVS.
 

 
(7) Cortisol

(8)  Bus

(9) Thomas Pany, Neue Kriege, neue Verletzungen, neue Orden? Telepolis 09.01.2009

(10) Florian Rötzer, Fast ein Zehntel der Häftlinge in britischen Gefängnissen sind ehemalige Soldaten, Telepolis 31.08.2008

(11) Friedrich Kuhn, Rund 500 Soldaten kehren traumatisiert zurück, mz-web.de 03.02.2009

 

zurück zum Verweis Cyberfahnder
© Dieter Kochheim, 11.03.2018