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November 2010 |
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BGH-Rundschau |
Gockeleien und
Heucheleien vor Gericht. Mehr Rückgrat bei der Rechtsprechung! |
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Fünf junge Entscheidungen des BGH gilt es vorzustellen. Ein Verteidiger hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass ihm Kopien von Schriftsätzen und Beschlüssen ausgehändigt werden ( links oben). Alles andere ist pure Nettigkeit. Die Zurechtweisung eines Verteidigers muss manchmal sein, damit sich das Gericht nicht von ihm die Butter vom Brot nehmen lässt. Das sind meine Worte, der BGH sagt's feiner ( links unten). Lange Zeit das einzige Verwertungsverbot in der Strafprozessordnung ist in § 136a StPO bestimmt: Der Beschuldigte darf nicht durch Gewalt, List, falsche Versprechungen oder gar Medikamente in seiner Willensfreiheit beeinträchtigt werden. Geschieht das, dann sind seine Angaben auch dann unverwertbar, wenn er ihrer Verwertung zustimmt. Das Verwertungsverbot beschränkt sich jedoch auf die Teile einer Aussage, die tatsächlich unter Gewalt erpresst worden sind ( rechts oben). Gegen Heucheleien wendet sich der BGH etwas verklausuliert ( rechts unten). Er spricht die bekannte Einlassungsstrategie an: "Ich gestehe alles, aus dem ich mich nicht herausreden kann!" |
Solche Lippenbekenntnisse sind taktisch ausgerichtet und zeigen keine Reue und kein auf Wiedergutmachung ausgerichtetes Nachtatverhalten ( § 46 Abs. 2 StGB). Sie sind kalkulierte Sprechblasen und von der Erkenntnis (oder Beratung) der Unvermeidbarkeit geprägt. Dadurch verdienen sie kein Entgegenkommen im Wege der Strafzumessung oder gar einer Strafrahmenverschiebung wie im Falle der (ehrlichen) Schadenswiedergutmachung. |
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Der 1. Senat prescht mit der Forderung hervor, dass im Rahmen einer Verständigung nicht nur eine Strafobergrenze ausgehandelt werden muss, sondern ein angemessener Strafrahmen, der immer auch eine Strafuntergrenze (15.11.2010) hat. Das bringt er in der schon angesprochenen Entscheidung auf den Punkt ( links oben). Die Anforderungen an die Begründungstiefe von Urteilen konkretisiert eine weitere Entscheidung ( links unten). Diese Art der Besserwisserei und Zurechtweisung ist nicht unproblematisch. Sie ist panoptisch, verliert und verliebt sich in Details und schürt die Angst der Praktiker davor, einen Vers des hohen Gerichts übersehen oder falsch eingeschätzt zu haben. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Instanzgericht nur am Fall und nicht im Allgemeinen argumentiert. Das Panoptikum als Gesamtbild stellt sich dann aber als ein Zerrbild aus verschiedenen Handlungsanweisungen im Einzelnen dar: Das darfst Du, das darfst Du nicht und das ist (mit bedenkend wiegendem Kopf) bedenklich. Die Linie gerät dabei aus dem Blick und ich glaube nicht, dass die fünf Strafsenate des BGH immer dieselbe Linie vor Augen haben. Gelegentlich strukturiert der BGH seine Rechtsprechung und verknüpft die verschiedenen Entscheidungen zu einen geflochtenen Strang. In Bezug auf die Begründungserfordernisse in einem Strafurteil scheint es mir daran aber noch zu fehlen.
Die
Ohrwatschen kommen zuletzt (
rechts
oben). Es ist natürlich völlig neben Sache, Ausführungen über das
Erfordernis der Verbüßung zu machen, wenn das Gericht auf eine
Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren erkennt. Auch die Frage, ob der
Verurteilte in den offenen Vollzug gehört, muss von anderen entschieden
werden. |
Die vom BGH kritisierte tatrichterliche Bemühtheit ist vom ihm nicht ganz unverschuldet. Seit Jahrzehnten straft der BGH seine nachgeordneten Berufskollegen ab und provoziert damit Unsicherheiten. Ich wünsche mir mehr Zöpfe, die er flicht. Zwei Entscheidungen sind beim BGH anhängig, die mich brennend interessieren. Das Landgericht Verden hat entschieden, dass Vorratsdaten, die nach Maßgabe der vorläufigen Entscheidungen des BVerfG zulässig erhoben wurden, nach dem Urteil vom 02.03.2010 überhaupt nicht mehr verwertet werden dürfen (7). Mit meiner Position (8) hat sich das Gericht (Dank kollegialer Unterstützung) ausdrücklich auseinander gesetzt und abgelehnt. Anders das Landgericht Hannover (9), ohne mich zu erwähnen. Am 15.11.2010 soll ein mit dieser Entscheidung berufener BGH-Richter bei einer justizöffentlichen Veranstaltung den Cyberfahnder nicht nur als ernsthafte Quelle, sondern auch wohlwollend zitiert haben - ausdrücklich "im Gegensatz zum Leipziger Kommentar". Ich bin gespannt! |
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Anmerkungen | |||||
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(5) BGH, Beschluss vom 19.10.2010 - 3 StR 226/10 (6) BGH, Beschluss vom 06.10.2010 - 2 StR 394/10 (7) Grundsätze: Umgang mit Verkehrsdaten, 07.03.2010 (8) Kochheim, Zum Umgang mit Verkehrsdaten, 07.03.2010
(9)
Dort habe ich mich nur in der Revisionsgegenerklärung selber erwähnt.
Wenn zwei Alphatiere aufeinander treffen, kann es manchmal etwas
kompliziert werden. |
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Cyberfahnder | |||||
© Dieter Kochheim, 11.03.2018 |