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August 2011 |
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Nutzung sozialer Netzwerke zu Fahndungszwecken |
Antworten der
Bundesregierung. Überprüfung meiner Arbeitsergebnisse. |
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Eine kleine
Anfrage von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKEN zur Nutzung sozialer
Netzwerke zu Fahndungszwecken
(1)
bezieht sich auf verschiedene Veröffentlichungen in der polizeilichen
Fachpresse (siehe
<links>). Die Antwort der Bundesregierung darauf wirkt zunächst etwas karg,
birgt aber auch interessante Informationen
(2): |
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Ermittlungen im Internet seien sowohl zur Gefahrenabwehr als auch zur Strafverfolgung wichtig. Im Einzelfall würden öffentlich zugängliche Informationen aus dem Internet beschafft: Das Bundeskriminalamt (BKA), die Bundespolizei (BPOL) und der Zollfahndungsdienst nutzen bei der Kriminalitätsbekämpfung fallbezogen u. a. offen zugängliche Informationen aus sozialen Netzwerken. Es wird keine systematische und anlassunabhängige Recherche in sozialen Netzwerken durchgeführt. Nehmen Beamte des BKA legendiert an einer Kommunikation in einer geschlossenen Benutzergruppe in einem sozialen Netzwerk teil und nutzen sie dabei Zugangsschlüssel, die sie ohne Zustimmung eines anderen Kommunikationsteilnehmers erhoben haben, kann dies nur unter den Voraussetzungen der §§ 100a, 100b, 110a ff. der StPO bzw. §§ 20l, 20g Absatz 2 Nummer 5 des BKAG zulässig sein. Wegen der Bedenken, die der Bundesdatenschutzbeauftragte geäußert hat, heißt es in der Antwort: Das schutzwürdige Vertrauen in die Identität des Kommunikationspartners markiert den Wechsel von der reinen Internetaufklärung, die keinen Grundrechtseingriff darstellt, hin zu einem Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, der einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Erhellend sind die Ausführungen zu den tatsächlich durchgeführten Ermittlungen seitens des BKA: Das BKA setzt für eine längerfristige, gezielte Teilnahme an der Kommunikation in sozialen Netzwerken nach Anordnung der Staatsanwaltschaft sogenannte virtuelle Verdeckte Ermittler ein. Die Einsätze finden auf der Rechtsgrundlage und nach Maßgabe der §§ 110a ff. der StPO statt. Im Rahmen der Strafverfolgung wurden innerhalb der zurückliegenden 24 Monate in sechs Ermittlungsverfahren „virtuelle“ Verdeckte Ermittler durch das BKA eingesetzt. Zur Keuschheitsprobe:
§§ 110a ff. der StPO enthalten keine Befugnis
zur Begehung milieubedingter Straftaten. Damit kommen <der
Aufruf zu Straftaten, das Verfassen strafbarer Texte und die Weitergabe
von Dateien mit strafbarem Inhalt> für Schließlich bestreitet die Bundesregierung, dass
von den Bundespolizeibehörden Methoden des Profiling und des Data Mining
eingesetzt werden (automatische Erhebung von Daten und ihre Verknüpfung
mit polizeilichen Datensammlungen). |
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Keine Widersprüche, aber Hintertüren | |||||
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Interessant sind die Zwischentöne, die sich in Andeutungen ausdrücken. Das zeigt sich zunächst in der verschämten Nennung des § 110a StPO, wohinter sich sowohl ein staatsanwaltschaftlich als auch gerichtlich genehmigter Einsatz eines Verdeckten Ermittlers verbergen kann. Eine Abgrenzung nach Eingriffsintensität und Dauer, wie ich es unternommen habe, macht die Antwort nicht, offenbart aber schließlich sechs Einsätze eines Verdeckten Ermittlers in Strafverfahren auf Anordnung der Staatsanwaltschaft. Das spricht für Einsätze ohne gerichtlichen Beschluss (siehe § 110b Abs. 2 StPO), den ich für längerfristige Einsätze gegen "bestimmte Beschuldigte" fordere. Interessant ist im Zusammenhang mit Zugangsschlüssel, die sie ohne Zustimmung eines anderen Kommunikationsteilnehmers erhoben haben, das Wort erhoben. Es besagt, dass eine Zugangskennung nicht im Wege der Kommunikation, sondern durch technische Mittel erlangt wurde. Das steht im Einklang mit der Nennung der §§ 100a, 100b StPO, die sich auf die Überwachung der Telekommunikation beziehen. "Zugangsschlüssel" werden gemeinhin nicht im Telefongespräch übermittelt, so dass sich die Überwachung nur auf die textliche Kommunikation beziehen kann, also auf E-Mails oder andere Kommunikationsdienste. Das belegen auch die Hinweise auf die §§ 20l (TKÜ) und 20g Abs. 2 Nr. 5 BKAG (Verdeckter Ermittler).
Schließlich
offenbaren die Worte zur Keuschheitsprobe eine Hintertür: Zweifellos
richtig ist, dass die
§§ 110a ff. der StPO ... keine Befugnis zur
Begehung milieubedingter Straftaten enthalten, dem der Verweis auf
allgemeine Regelungen folgt. Das kann als Hinweis auf
§ 161 Abs. 1 S. 1 StPO verstanden werden, also auf die
kriminalistische List unterhalb von Maßnahmen, die messbar in
Grundrechte eingreifen, aber auch auf einen rechtfertigenden (
§ 34 StGB) oder entschuldigenden Notstand hinweisen
§ 35 StGB. Der entschuldigende Notstand würde aber nach einer
gewissen persönlichen Nähe verlangen
(4),
die dem stellvertretenden Polizeipräsidenten in Frankfurt im Fall "Gäfgen"
nicht zugestanden worden ist
(5). |
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zwischen NoeP und VE | |||||
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Henrichs ist der Leiter des Fachgebiets Eingriffsrecht an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Rheinland-Pfalz und Wilhelm Dozent ebenda. Auch sie orientieren sich an dem Urteil des BVerfG zur Onlinedurchsuchung (8) und heben dessen Aussagen hervor, dass die Informationsbeschaffung aus dem Internet, die Nutzung von Fake Accounts und die Teilnahme an der Kommunikation in sozialen Netzen Maßnahmen ohne grundrechtsrelevante Eingriffstiefen sind, die aufgrund der Ermittlungsgeneralklausel gerechtfertigt sind <S. 8>. Dem folgen längere Ausführungen über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für soziale Netzwerke und ob sich die Polizei darüber hinweg setzen darf. Das ist ein Problem des NoeP, der nicht von § 110a Abs. 2 S. 2 StPO zur Teilnahme am Rechtsverkehr berechtigt wird. Die Autoren behelfen sich damit, dass sie zivilrechtliche Allgemeinregelungen gegen öffentlich-rechtliche Eingriffsermächtigungen zurücktreten lassen, womit sie sicherlich recht haben <S. 9>. Soweit die Autoren auf offene Erhebungen und Auskunftsverlangen eingehen, besteht kein Widerspruch gegenüber meinen Ausführungen. Mir kommt nur zugute, dass ich neue Rechtsprechung berücksichtigen konnte, die ihnen noch unbekannt war. Spannend wird es bei Frage, die sie als "aktive Informationserhebung" übertiteln (siehe Schaubild <unten>). Bei der - auch längerfristigen - Chatteilnahme und bei der Frage nach der damit verbundenen Vertrauensbildung sind wir derselben Meinung. Auch schon dort weist die Tabelle den Eintrag auf: ggf. § 110a StPO. Das zeigt, dass auch sie die Vorschriften über den Verdeckten Ermittler einschlägig sehen. Das wiederholt sich in Bezug auf die geschlossenen Benutzergruppen. Die Autoren winden sich dann aber und bekennen im Text
des Aufsatzes keine klare Farbe. Den Grund dafür deuten sie an <S. 10>: |
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Der Einsatz verdeckt ermittelnder Polizeibeamter in der „realen Welt“ bereitet kaum mehr Schwierigkeiten, da die Bezeichnungen VE (verdeckte Ermittler) und noeP (nicht offen ermittelnder Polizeibeamter) auch verwaltungsintern klar differenziert werden und deren Einsatz zum Teil strengen Regularien unterliegt. Für verdeckte Ermittlungen im „virtuellen“ Raum bestehen allerdings lediglich andeutungsweise klare Anweisungen oder Vorschriften. Die Brisanz liegt in dem Wort verwaltungsintern und besonders in dem falschen Wort auch. |
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Während der Einsatz eines noeP/VE in der „realen Welt“ meist auch mit der persönlichen, unmittelbaren Kontaktaufnahme zum Beschuldigten verbunden ist, sind nicht offen geführte Ermittlungen im Internet schon von vorne herein anders angelegt. Sie zeichnen sich durch mehr Anonymität und Distanz aus, sind nicht vergleichbar operativ ausgerichtet. und dann eine Referenz an das BVerfG, die
die Argumentationslücke überspringt, aber nicht retten kann. |
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die Lücke zwischen NoeP und VE | |||||
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Die Polizeipraxis folgt dem 1994 entwickelten Modell von Krey (9), das ich in Kenntnis der aktuellen Rechtsprechung von BGH und BVerfG ablehne. Das Wort auch bedeutet tatsächlich, dass das Polizeiverwaltungsrecht den VE extrem restriktiv definiert und unterhalb davon alle geheimen, aktiven Informationserhebungen als irgend etwas anderes als den Einsatz eines VE ansieht. Das findet in dem Leitbild, das der Gesetzgeber für das Strafverfahrensrecht gesetzt hat, keine Stütze. Es definiert einen Verdeckten Ermittler, der unmittelbar oberhalb der Schwelle vom NoeP tätig wird und den Schutz durch Ermittlungsermächtigungen und der gerichtlichen Genehmigung verdient (10). Daran ändert auch nichts, dass sich die verdeckten virtuellen Ermittlungen durch mehr Anonymität und Distanz <auszeichnen und> nicht vergleichbar operativ ausgerichtet sind. Sie sind, wenn sie längerfristig angelegt sind, aktive Informationserhebungen von Strafverfolgern, die diese Tatsache nicht offenbaren, und deshalb verdeckte Ermittlungen im Sinne von § 110a StPO. Basta. Das Problem der strafverfahrens- und
polizeirechtlichen Abgrenzungen offenbart sich auch in der Antwort der
Bundesregierung: Es gehe um
den
Wechsel von der reinen Internetaufklärung, die keinen
Grundrechtseingriff darstellt, hin zu einem Eingriff in das Grundrecht
auf informationelle Selbstbestimmung. Stimmt! |
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Fazit | |||||
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Im Zusammenhang mit den verdeckten Ermittlungen im Internet offenbaren die Antworten der Bundesregierung mehrere Probleme, die wirklich in Angriff genommen werden müssen. Wegen der Ermittlungen gegen die Internetkriminalität fehlen klare Bekenntnisse des Gesetzgebers zu den technischen Eingriffsmaßnahmen (Vorratsdaten, Onlinedurchsuchung, Einsatz technischer Mittel; siehe mein Arbeitspapier). Das unprofessionelle Schweigen zu diesen Themen widerspricht allen Regeln, die für das "moderne" Management entwickelt wurden. Danach ist jeder Nachgesetzte in der Pflicht, alle wichtigen Ereignisse nach "oben" zu melden, und jeder Vorgesetzte in der Pflicht, seinen Nachgesetzten alle Informationen und Vorgaben zu geben, die sie zu ihrer Aufgabenerfüllung brauchen. Zwischen dem Polizei- und dem Strafverfahrensrecht zum Verdeckten Ermittler klafft eine Lücke, die vom maßgebenden Strafverfahrensrecht geschlossen werden muss. Danach ist der NoeP auf klar definierte Ermittlungsaufgaben beschränkt. Längerfristige Beobachtungen sind dem Verdeckten Ermittler vorbehalten, der einer staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Genehmigung bedarf. Noch ein schönes Thema, dem ich lange Ausführungen widmen könnte: Das Leitbild der justiziellen Verfolgung der Internetkriminalität folgt überwiegend dem Grundsatz, "wasch mich, aber mach' micht nicht nass!". In Niedersachsen werden jetzt drei Zentralstellen für die Verfolgung der Internetkriminalität eingerichtet, deren Personal aus dem Bestand herausgepuzzelt wird. Begründung: Die zu bearbeitenden Verfahren sind ja sowieso irgendwo anhängig und werden nur zusammen geführt. Dass sie auch schon vorher - mehrheitlich - nicht stringend gefördert wurden, bleibt dem verständnislosen "Ach" geschuldet. Den Cyberfahnder zeichnet aus, dass ich hier immer wieder eine verhaltend positive Perspektive vertreten habe. Wir können, das meine ich wirklich, auch im vorhandenen Rechtsrahmen die Cybercrime bekämpfen, wenn wir uns fortbilden, uns auf sie konzentrieren und mit Augenmaß, dann aber auch ohne falsche Zurückhaltung auf sie eindreschen. Lippenbekenntnisse ohne fördernde politische Konsequenzen schaffen das hingegen nicht. Ja, schon wieder verbreite ich Pessimismus. Die an Erich Kästner gerichtete Frage, wo das Positive bliebe, beantworte auch ich wie er:
Ja, wo
bleibt es denn? |
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Anmerkungen | |||||
(2) Antwort der Bundesregierung vom 14.07.2011, BT-Drs 17/6587 (3) Dieter Kochheim, Verdeckte Ermittlungen im Internet (4) LG Frankfurt am Main, Schriftliche Urteilsgründe in der Strafsache gegen Wolfgang Daschner, Presseerklärung vom 15.02.2005, S. 29. (5) verbotene Methoden, 20.04.2008 (6) Axel Henrichs, Jörg Wilhelm, Polizeiliche Ermittlungen in sozialen Netzwerken, Kriminalistik 1/2010 (7) Axel Henrichs, Jörg Wilhelm, Global vernetzen – lokal ermitteln. Polizeiliche Herausforderungen durch soziale Netzwerke, Deutsche Polizei (GdP) 10/2010, S. 6. (8) BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 - 1 BvR 370/07, 595/07 (9) Volker Krey, Rechtsprobleme des Einsatzes qualifizierter Scheinaufkäufer im Strafverfahrensrecht, ZKA Köln 1994 |
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Cyberfahnder | |||||
© Dieter Kochheim, 11.03.2018 |