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Februar 2012
25.02.2012 Hinterleute
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift uneigentliche Organisationsdelikte
  Den Hinterleuten und Unterstützern geht es an den Kragen.
 

 
 Das besprochene Urteil (1) hat Bedeutung für den Beschreibungsumfang von Anklageschriften und festigt den Weg zu einer härteren Haftung bei der arbeitsteiligen Kriminalität.

 
Bande und Mittäter. Kriminelle Vereinigung
uneigentliche Organisationsdelikte
 
 
Die Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift gebietet auch bei Bandentaten oder "uneigentlichen Organisationsdelikten" nicht, dass für die Bestimmtheit des Anklagevorwurfs i.S.d. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO mehr an Substanz verlangt wird als materiell-rechtlich für einen Schuldspruch erforderlich ist. (1)
 

 
 Der Leitsatz des BGH ( links) klingt technisch und unspektakulär. "Technisch" ist gemeint in dem Sinne, dass eher ein handwerkliches Detail geregelt wird, das ansonsten keine Brisanz hat. Falsch!

 Zunächst geht es tatsächlich um Handwerk. Das LG Karlsruhe hat ein Verfahrenshindernis darin gesehen, dass die Anklage in einer umfangreichen Strafsache wegen Produkt-Betruges (Umettikettierung minderwertiger Stromgeneratoren aus China und ihre Aufwertung zu westlichen Markenprodukten) die Handlungen der sechs Angeklagten nur wegen ihrer Aufgaben und Handlungsfelder beschrieben hat, nicht aber wegen aller einzelnen Verkaufs- und damit Betrugshandlungen der Vertriebsvertreter. Es hat zunächst einen Großteil der Vorwürfe nicht zur Hauptverhandlung zugelassen und wegen des Restes in laufender Hauptverhandlung ein Einstellungsurteil verkündet. Ein Einstellungsurteil erfolgt wegen eines Verfahrenshindernisses und beendet nur das gerichtliche Verfahren. Es ist kein Freispruch, der jeden Neuanlauf verhindern würde (Verbot der Mehrfachbestrafung, Art 103 Abs. 3 GG).

 Die Anklage hat zwei Aufgaben: Die Umgrenzungs- und die Informationsfunktion (2). Das ist zunächst die Umgrenzungsfunktion, die dazu führt, dass die erhobenen Vorwürfe so genau beschrieben und räumlich/zeitlich eingegrenzt werden, dass keine Verwechslung mit anderen Lebenssachverhalten erfolgen kann und die als strafbar bezeichneten Handlungen und Folgen in ihren Kernen eindeutig bestimmt sind. Hinzu kommt die Informationsfunktion, die über die sachliche Umschreibung der Vorwürfe hinaus auch die Beweismittel und ihre Bewertung verlangt, um es dem Angeschuldigten zu ermöglichen, sein Prozessverhalten auf die Anklage einzustellen. (3)

Wenn die Anklageschrift die Umgrenzungsfunktion nicht leistet, ist sie mangelhaft:
Ein wesentlicher Mangel der Anklageschrift, der als Verfahrenshindernis wirken kann, ist daher anzunehmen, wenn die angeklagten Taten anhand der Anklageschrift nicht genügend konkretisierbar sind, so dass unklar bleibt, auf welchen konkreten Sachverhalt sich die Anklage bezieht und welchen Umfang die Rechtskraft eines daraufhin ergehenden Urteils haben würde (...). Bei der Prüfung, ob die Anklage die gebotene Umgrenzung leistet, dürfen ggf. die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen werden (...). <Rn 13>

Danach bedarf es keiner ausufernden Anklagesätze, die über Stunden oder Tage verlesen werden müssen ( § 243 Abs. 3 S. 1 StPO) und die sich niemand merken kann. Das ging noch, als es darum ging, dass der Wilddieb W dem Förster F den erschossenen Keiler K um die Ohren schlug, um sich den K und seine eigene Freiheit zu sichern. Serienbetrügereien und breitflächige automatische Aktionen im Internet lassen sich damit aber nicht prägnant beschreiben. Das ist auch im Interesse der Umgrenzung nicht nötig: Der Täter, der nur einen Schalter gedrückt hat ( Rückruftrick), eine Malwareaktion startet mit Pharmen, Spam-Mails und Botware oder Onlinebanking-Trojaner verteilt, handelt aktiv nur in diesen Vorbereitungsstadien - und hofft auf den großen kriminellen Erfolg. Ihm geht es nicht darum, den Meister M oder die Oma O zu schädigen, sondern alle, die auf seine Methode hereinfallen. Deshalb kommt es auch nur auf seine Methode an, die beschrieben werden muss, und auf eine vernünftige Abgrenzung, die andere böse Angriffe ausschließt.

Das LG Karlsruhe hat aber die Informationsfunktion der Anklage bemängelt und daraus ein Verfahrenshindernis geschlossen. Das geht dem BGH zu weit.
 

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Als der Große Senat des BGH 2001 eine neue Betrachtung der "Bande" vornahm, schuf er kein neues Organisationsstrafrecht (4). Er eröffnete aber den Weg zu einer Rechtsprechung, die das "uneigentliche Organisationsdelikt" einführte.

Ein echtes Organisationsdelikt liegt vor, wenn bereits das Bekenntnis zu ihr oder ihre aktive Förderung unter Strafdrohung steht. Das ist zum Beispiel bei § 84 StGB der Fall, der die Hinterleute, Rädelsführer und Aktivisten einer von BVerfG als verfassungswidrig festgestellten Partei oder Ersatzorganisation allein wegen ihrer Unterstützung mit Strafe bedroht.

Im Zusammenhang mit arbeitsteiligen kriminellen Verbünden im Übrigen reicht die schlichte Beteiligung nicht aus. Es müssen schon Sraftaten in selbständig strafbarer Weise geplant und ausgeführt werden. Bekenntnisse und Gesinnungen reichen dafür nicht aus.

Die Rechtsfigur der Bande ist früher von der Zusammenarbeit der Täter am Tatort und bei der direkten Tatausführung bestimmt gewesen. Ihre Leitbilder sind die Einbrecher, die sich durch Wände und Decken den Weg zum Tresor bahnen, um ihn auszuräumen, oder die britischen Eisenbahnräuber, die mit logistischer Brillianz einen ganzen Zug in ihre Gewalt bringen und das Gold, das er transportiert. Beide Tätergruppen hätten aber keine Bande gebildet (5).

Davon ist der BGH 2001 abgerückt (6). Er lässt seither das arbeitsteilige Zusammenwirken in einem Gesamtplan genügen, also wenn ein Bandenmitglied die Tat aufgrund seiner Ortskenntnisse oder besonderer Organisationsmöglichkeiten plant, ein anderes die erforderlichen Vorbereitungen trifft, indem es die notwendigen Werkzeuge oder Transportmittel besorgt, während wieder ein anderes Bandenmitglied - möglicherweise wegen seiner besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten - die Sache wegnehmen soll und ein weiteres Bandenmitglied für den Abtransport und die Sicherung der Beute Sorge trägt. Eine derartige Arbeitsteilung, die vor allem für organisierte und spezialisierte Diebesbanden typisch ist, ist zumindest genauso gefährlich wie die Arbeitsteilung am Ort der Wegnahme selbst. <S. 18>

Was das Organisationsmodell anbelangt, macht der BGH keinen Unterschied zwischen Mittätern an einzelnen Taten und Bandentätern. Die Rechtsprechung fasst deshalb (schon länger) (7) - abgesehen von durch einen Tatgenossen eigenhändig verwirklichten oder durch einen individuellen Tatbeitrag mitverwirklichten Einzeldelikten - Tatbeiträge eines Mittäters, mittelbaren Täters oder Gehilfen zum Aufbau, zur Aufrechterhaltung und zum Ablauf eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebes unter Heranziehung des Zweifelssatzes (...) rechtlich weitgehend zu einem - uneigentlichen - Organisationsdelikt zusammen..., durch welches mehrere Einzelhandlungen oder mehrere natürliche Handlungseinheiten rechtlich verbunden und hiermit die aus der Unternehmensstruktur heraus begangenen Straftaten in der Person dieser Tatbeteiligten zu einer einheitlichen Tat oder gegebenenfalls zu wenigen einheitlichen Taten im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammengeführt werden (...).

Besonders plastisch wird das bei einem 2008 entschiedenen Fall (8): Der Täter hatte einen Firmenmantel beschafft, den seine Komplizen für mehrere betrügerische Leasingverträge missbrauchten. Allein die Beschaffung des Firmenmantels macht ihn zum Mittäter (nicht nur zum Gehilfen!), weil ohne seine Mitwirkung der Tatplan nicht ausgeführt werden konnte. Während seinen Komplizen mehrere Taten vorzuwerfen sind - Beteiligung an einzelnen Leasingverträge und Unterschlagung der betreffenden Kraftfahrzeuge - hat der Mantelbeschaffer nur eine begangen, weil er mit der Beschaffung und Übergabe des Firmenmantels nur einmal und abschließend gehandelt hat, die aber alle ertrogenen Fahrzeuge umfasst.

2011 hat der BGH die Frage nach dem uneigentlichen Organisationsdelikt im Zusammenhang mit volksverhetzenden Internetradio-Betreibern aufgegriffen (9). Dort heißt es <Rn 16>:

Haben bei einer durch mehrere Personen begangenen Deliktsserie einzelne Angeklagte einen Tatbeitrag zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung einer auf die Begehung von Straftaten ausgerichteten Infrastruktur erbracht, sind die Einzeltaten der Mittäter zu einem uneigentlichen Organisationsdelikt zusammenzufassen, durch welches mehrere Einzelhandlungen rechtlich verbunden und hiermit die auf Grundlage dieser Infrastruktur begangenen Straftaten in der Person der im Hintergrund Tätigen zu einer einheitlichen Tat oder gegebenenfalls zu wenigen einheitlichen Taten im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammengeführt werden ( BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03 ...; Beschluss vom 21. Dezember 1995 - 5 StR 392/95, NStZ 1996, 296 f. <Leitsätze ohne Aussagewert>; Beschluss vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03 ...).
 

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 Ein echtes Organisationsdelikt liegt vor, wenn das Bekenntnis oder die aktive Förderung einer verbotenen Organisation zur Strafbarkeit ausreicht. Es ist Gesinnungsstrafrecht, das über die persönliche Meinung hinaus wenigstens auch nach fördernden Handlungen (Diskussionsbeiträge, verteilte Flugblätter, Veröffentlichungen im Internet u.a.) verlangt.

Uneigentliche Organisationsdelikte verlangen mehr, nämlich einen erheblichen Tatbeitrag, der die bezweckte Straftat direkt fördert. Wegen der Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung reicht es zwar aus, als Hintermann, Rädelsführer oder Unterstützer die Infrastruktur der Vereinigung zu fördern ( § 129 StGB), aber Straftaten müssen die Beteiligten an der Vereinigung schon begehen.

Damit kommen wir zurück zu dem Urteil vom 24.01.2012 (10) und einem unauffälligen Nebensatz: Die Verneinung einer Bandenabrede durch den Tatrichter und auch die Nichtannahme eines - hier dann allerdings nahe liegenden - "uneigentlichen Organisationsdeliktes" (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 4 StR 252/11 Rn. 12) mögen dazu führen, dass noch strengere Anforderungen an die Feststellung der konkreten Tatbeiträge eines jeden Angeklagten an den jeweiligen Taten zu stellen sind, sie führen aber nicht dazu, dass die vorher zu Recht (im Eröffnungsbeschluss) angenommene Einhaltung der Umgrenzungsfunktion entfällt.

Unauffällige Nebensätze haben eine beachtliche Signalwirkung und das Signal hier lautet: Die neue Rechtsprechung seit 2001 stellt besonders auch auf die Tatbeiträge der Hinterleute ab. Wenn ihre fördernden oder initiierenden Handlungen belegt sind, sind sie als Mittäter zu bestrafen. Das gilt jedenfalls dann, wenn Straftaten begangen und bewiesen werden können, zu denen die Hinterleute einen fördernden oder gestaltenden Beitrag geleistet haben (11).

Der BGH breitet seine Winke mit dem Zahnpfahl selten in epischer Breite aus und hat das auch hier nicht getan. Sein Fuchteln wird deshalb keine breite Öffentlichkeit erreicht haben und es wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen, bis das Signal in der Praxis angekommen ist. Zudem besteht der BGH aus fünf Strafsenaten und etlichen Spruchgruppen, die alle eigene Vorlieben und Besonderheiten ausbilden können.

Der BGH ist nicht der BGH als solches, sondern die Summe seiner Richter. Für die harte Linie gegen die wenig in Erscheinung tretenden Hinterleute spricht allerdings, dass sich eine gewisse Rechtsprechungstradition herausgebildet hat, von der im Einzelfall immer Mal wieder abgewichen werden kann. Außerdem ist die Entscheidungspraxis der Tatsacheninstanzen tendenziell träge und wenig bereit, Signalen hinterher zu laufen. Manche Jäger müssen auch zum Jagen getragen werden. Das ist dann die Aufgabe derjenigen, die die Signale verstanden haben (die dann auch irgendwann den Elan verlieren können).
 

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(1) BGH, Urteil vom 24.01.2012 - 1 StR 412/11

(2) schlanker Anklagesatz, 30.03.2011.
Siehe jetzt auch: BGH, Beschluss v0m 09.02.2012 - 1 StR 148/11, Rn 6 f.

(3) Selbstzitat, siehe (2).

(4) BGH, Beschluss vom 29.04.2008 - 4 StR 125/08

(5) Eine Bande setzt die Bereitschaft von mindestens drei Beteiligten voraus, bestimmte Formen von Straftaten gemeinsam mehrfach zu begehen. Beide Beispiele zeigen (klassische) Formen der modularen Kriminalität, die bei der militärischen Einsatzplanung und neuerdings beim Projektmanagement gelernt hat.

(6) BGH, Beschluss vom 22.03.2001 - GSSt 1/00

(7) BGH, Urteil vom 17.06.2004 - 3 StR 344/03, Rn 20

(8) BGH, Beschluss vom 29.04.2008 - 4 StR 125/08

(9) Streaming. Kriminelle Vereinigung, 15.06.2011;
BGH, Beschluss vom 19.04.2011 - 3 StR 230/10.

(10) Ebenda (1)

(11) Siehe auch schon: Der Hintermann als Täter, 03.01.2010;
BGH, Urteil vom 26.07.1994 - 5 StR 98/94, Rn 81.
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018