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Seit April
sind die spektakulären Gerichtsentscheidungen ausgeblieben. Dieser
Rechtsprechungsreport enthält jedoch einige Leckerbissen, die von
bleibender Bedeutung sein werden.
Das gilt
zunächst für ein zeitgeschichtliches Juwel. Das Landgericht Düsseldorf
hat einen jungen Mann verurteilt, der die Cybercrime in allen
aktuellen Spielarten praktiziert hat. So gut verdient wie die
Betreiber von
"kino.ko" hat er jedoch nicht.
Auch andere
Kriminalitätsfelder sind hochkarätig besetzt. Das LKA Bayern hat im Mai
8 Leute festgenommen, die mit betrügerischen Webshops 100.000 Menschen
um mehrere Millionen Euro geprellt haben sollen
(1).
Andere bildeten eine
Kriminelle Vereinigung beim Streaming
rechtsradikalen Liedguts.
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Die PKS für
2010 weist einen
deutlichen Anstieg der Internetkriminalität aus. Das BKA ergänzt
sie um Zahlen, die allein das Skimming betreffen
(2).
2010 sollen die Daten von rund 190.000 Bankkunden abgegriffen und
dadurch ein Schaden von rund 60 Millionen Euro entstanden sein.
Skimming bleibt auch ein Thema für die Rechtsprechung:
Skimming als Vorbereitungshandlung.
Das
Strafverfahrensrecht ist mit den Themen
Bestandsdatenauskunft,
kriminalistische
List und
Hörfalle
vertreten.
(1)
Betrug im Internet: Polizei hebt Bande aus, 17.05.2011
(2)
Betrüger spähten gut 200.000 Geheimnummern aus, spiegel.de
10.05.2011;
Skimming: Zahl der Betrugsfälle steigt um 50 Prozent, Heise online
10.05.2011.
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Cybercrime in allen Spielarten |
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Von
zeitgeschichtlicher Bedeutung ist das Urteil des LG Düsseldorf vom 22.
März 2011 gegen "Klaus Störtebeker", so der Alias des Täters
(1).
Wer noch Zweifel an der Existenz der Cybercrime hatte,
wird hier eines Besseren belehrt:
Cyber-Kriminelle nutzen alle Möglichkeiten der Verschleierung und Tarnung,
sind
in Deutschland aufgewachsen und hier tätig,
führen
DDoS-Angriffe mit Botnetzen aus und
drohen
mit DDoS-Angriffen, um Schutzgeld zu erpressen,
verlangen
zur Verschleierung der Beutesicherung digitale Bons (Voucher)
(2)
und
lassen deren Wert auf Kreditkarten auf Guthabenbasis übertragen,
um dann die Beute am nächsten Geldautomaten abzuholen.
Der
geständige Angeklagte hat mehrere Erpressungen und DDoS-Angriffe
durchgeführt und sich dazu auf die Webseiten mehrerer Pferdewetten-Anbieter konzentriert. Das LG Düsseldorf hat ihn
deshalb wegen gewerbsmäßiger Erpressung in Tateinheit mit
Computersabotage zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn
Monaten verurteilt. Beachtlich ist, dass das Gericht sowohl wegen der
Erpressungen (
§ 253 StGB) wie auch wegen der Computersabotagen (
§ 303b StGB) von gewerbsmäßigem Handeln ausgegangen ist (
§§ 253 Abs. 4,
303b
Abs. 4 Nr. 2. StGB). Das sind keine Bagatellen mehr, die zur
Nachsicht Anlass geben könnten.
Der Täter scheint ein typischer Vertreter der hiesigen Cybercrime-Szene
zu sein: Junger Erwachsener, der dem Jugendrichter gerade entwachsen und
mit allen Finessen vertraut ist, die in der Carding- und Hacking-Szene
diskutiert und propagiert werden.
Das Urteil
zeigt auch, dass bei allen
Lücken
(3),
die das Cyberstrafrecht aufweist
(4),
angemessene Reaktionen auf die Cybercrime in Deutschland möglich sind.
Die Instrumente, die jetzt von den Justizministern im Rat der
Europäischen Union vorgeschlagen wurden
(5),
liefern auf dem ersten Blick nichts Neues, das schmerzhaft fehlen würde.
(1)
LG Düsseldorf, Urteil vom 22.03.2011 - 3 KLs 1/11
(2)
Konvergenz auf dem Schwarzmarkt, 25.11.2010;
graue Bezahlsysteme, 08.12.2010.
(3)
Besonders fehlt ein Tatbestand gegen die
Datenhehlerei. Das System der strafbaren Vorbereitungshandlungen ist
teilweise unausgegoren (
§ 263a Abs. 3 StGB beschränkt sich auf Computerprogramme und umfasst
nicht auch die Hardware) und vor allem wegen des
Funkschutzes unvollständig.
(4) Übersicht:
Skimming im Cybercrime-Strafrecht, 22.08.2010
(5)
EU-Minister wollen Rahmenbeschluss gegen Cyberkriminalität erweitern,
Heise online 14.06.2011
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Streaming. Kriminelle Vereinigung |
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15.06.2011
Die
Angeklagten haben systematisch auf Streaming-Plattformen
(Internet-Radio) rechtsradikale Musik gesendet. Sie wurden deshalb u.a.
wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ( § 129 StGB) verurteilt
(1).
Der BGH verfeinert aus diesem Anlass seine Rechtsprechung zu dem
Organisationsdelikt und passt sie der zur Bande an:
<15>
a)
Schließen sich mehrere Täter zu einer kriminellen Vereinigung zusammen,
hat dies - entsprechend den bei einem Zusammenschluss als Bande
geltenden Grundsätzen - nicht zur Folge, dass jede von einem
Vereinigungsmitglied begangene Tat den anderen Mitgliedern ohne weiteres
als gemeinschaftlich begangene Straftat im Sinne des
§ 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann. Vielmehr ist für
jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich
die anderen Mitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen
beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren
Tatbeitrag geleistet haben (vgl.
BGH, Beschlüsse vom 24.
Juli 2008 - 3 StR 243/08 ...;
vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03 ...)
<16>
b) Haben
bei einer durch mehrere Personen begangenen Deliktsserie einzelne
Angeklagte einen Tatbeitrag zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung einer
auf die Begehung von Straftaten ausgerichteten Infrastruktur erbracht,
sind die Einzeltaten der Mittäter zu einem uneigentlichen
Organisationsdelikt zusammenzufassen, durch welches mehrere
Einzelhandlungen rechtlich verbunden und hiermit die auf Grundlage
dieser Infrastruktur begangenen Straftaten in der Person der im
Hintergrund Tätigen zu einer einheitlichen Tat oder gegebenenfalls zu
wenigen einheitlichen Taten im Sinne des
§ 52 Abs. 1 StGB zusammengeführt werden (
BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR
344/03 ...;
Beschluss vom 21. Dezember 1995 - 5 StR 392/95, NStZ 1996,
296 f. <Leitsätze ohne Aussagewert>;
Beschluss vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03 ...).
<17>
c) Die im
Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangenen Taten stehen zueinander
im Verhältnis der Tateinheit, da die mitgliedschaftliche Beteiligung in
einer solchen Vereinigung zu deren Verklammerung führt. Voraussetzung
für eine solche Klammerwirkung ist, dass die Ausführungshandlungen
zweier oder mehrerer an sich selbstständiger Delikte zwar nicht
miteinander, wohl aber mit der Ausführungshandlung eines dritten
Tatbestandes (teil)identisch sind und dass zwischen wenigstens einem der
beiden an sich selbstständigen Delikte und dem sie verbindenden, sich
über einen gewissen Zeitraum hinziehenden (Dauer-) Delikt zumindest
annähernde Wertgleichheit besteht (
BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 3 StR 203/08
...). Als Maßstab hierfür dient die Abstufung der einzelnen Delikte nach
ihrem Unrechtsgehalt unter Orientierung an den Strafrahmen, wobei der
Wertevergleich nicht nach einer abstrakt-generalisierenden
Betrachtungsweise, sondern anhand der konkreten Gewichtung der Taten
vorzunehmen ist (BGH,
Urteil vom 18. Juli 1984 - 2 StR 322/84, BGHSt 33, 4, 6 f. ...).
(1)
BGH, Beschluss vom 19.04.2011 - 3 StR 230/10, Rn 14
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Glückspiel im Internet |
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15.06.2011
Ohne eine
abschließende Klärung der Rechtslage abzuwarten hat der Angeklagte ein
einsatzpflichtiges "Quiz" im Internet veranstaltet und dazu eine ihm
gehörende Doppelhaushälfte (und andere Sachgewinne) ausgelobt.
Mindestens 18.294 Spieler beteiligten sich und zahlten jeweils
mindestens 19 € ein.
Die höchste Einzelüberweisung an den Angeklagten lag bei 190 €;
darüber hinaus zahlten einzelne Spieler in mehreren Überweisungen bis zu
874 € für ihre Spielteilnahme. Insgesamt erlangte der Angeklagte
hierdurch 404.833 €. Hiervon zahlte er nicht mehr als 4.833 € an einige
der Spielteilnehmer zurück. Den Restbetrag verbrauchte er für eigene
Zwecke.
Die Glücksspielaufsichtsbehörde untersagte die
Veranstaltung im Januar 2009. Nachdem
auch das zuständige Verwaltungsgericht im Februar die Behörde
bestätigte, stoppte der Angeklagte die Veranstaltung. Eine Preisverleihung fand dann
nicht mehr statt.
Der BGH bestätigte die Verurteilung des Angeklagten zu einer
Bewährungsstrafe von zwei Jahren
(1). Das angefochtene Urteil ließ keine sichere Unterscheidung zwischen
Glückspiel und Geschicklichkeitsspiel ("Quiz") zu. Zum Fallstrick wurde
dem Angeklagten aber, dass er wider besseren Wissens mehrfach bei der
Werbung behauptete, dass das Spiel geprüft und rechtlich einwandfrei
sei. Der humorlose BGH betrachtet das als Betrug im Sinne von
§ 263 StGB.
(1)
BGH, Beschluss vom 15.03.2011 - 1 StR 529/10
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Skimming als Vorbereitungshandlung |
Das bloße
Anbringen einer Skimming-Apparatur an einem Geldautomaten in der Absicht,
durch diese Daten zu erlangen, die später zur Herstellung von
Kartendubletten verwendet werden sollen, stellt demgegenüber lediglich
eine Vorbereitungshandlung zur Fälschung von Zahlungskarten dar
(4). |
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Die
grundsätzliche Strafbarkeit der Cashing-Täter beim Skimming, also beim
abschließenden Einsatz von Dubletten an Geldautomaten im Ausland, als
gewerbs- und bandenmäßiges Fälschen von Zahlungskarten mit
Garantiefunktion gemäß
§ 152b Abs. 2 StGB steht inzwischen außer Frage.
Wie bereits gewohnt lässt der BGH entsprechende Verurteilungen wortlos
passieren
(1).
Mit dem
Urteil vom 27.01.2011 hat der BGH einen wichtigen Schlussstrich unter
die Frage gezogen, in welchem Handlungsstadium der Versuch des Fälschens
von Zahlungskarten beginnt
(2).
Danach ist das reine Ausspähen der Zahlungskartendaten an hiesigen
Geldautomaten noch im Vorbereitungsstadium angesiedelt. Zum Versuch des
Fälschens setzen die Täter hingegen erst an, wenn sie mit dem
Fälschen selber beginnen. In arbeitsteiligen Täterstrukturen kann das
frühestens der Fall sein, nachdem die "Abgreifer" das Ausspähen beendet
und die dabei gewonnenen Daten gesichert haben
und sie an die sozusagen bereits wartenden "Nachtäter"
weiter leiten
(3).
Der BGH spricht insoweit von einem
gleichsam
... automatisierten Ablauf <Rn 8>.
Das
bestätigt eine neue Entscheidung, die ganz deutlich ausspricht, dass der
Einsatz der Skimming-Apparaturen noch im Vorbereitungsstadium
angesiedelt ist
(4).
Sie geht auch auf eine weitere, noch nicht in allen Einzelheiten
geklärte Frage ein:
Das
Fälschen von Zahlungskarten mit Garantiefunktion ist ein Verbrechen, so
dass sich auch die im Vorbereitungsstadium zuarbeitenden Mittäter an
einer Verbrechensabrede im Sinne von
§ 30 Abs. 2 StGB beteiligen können. Dabei kommt es
darauf
an, wie viele konkurrenz-rechtlich selbstständige Tathandlungen der
Täter begangen hat; denn die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses
zwischen verschiedenen Straftaten richtet sich - auch bei der Mitwirkung
mehrerer Tatbeteiligter - für jeden Beteiligten allein danach, welche
Tathandlungen er im Hinblick auf die jeweilige Tat vorgenommen hat; dies
gilt unabhängig davon, ob die einzelne Tat nur verabredet, versucht oder
vollendet worden ist, und in welcher Form der jeweilige Tatbeteiligte an
ihr mitgewirkt hat <Rn 7>.
Dazu müssen die Handlungen jedes einzelnen
Täters gewürdigt werden, also vor allem, wie die Skimming-Geräte
eingesetzt wurden, wo und wie häufig. Die rechtliche Würdigung im
Einzelfall ist schwierig, weil auch betrachtet werden muss, was der
gemeinsame Tatplan wegen der "Nachtäter" vorgesehen hat. Sollten das
Fälschen und das Cashing sozusagen "in einem Rutsch" erfolgen, ist eine
umfassende deliktische Einheit anzunehmen
(5),
die das abschließende Tatgeschehen zu einer materiellen Tat zusammen
fasst. Mehrere Handlungen des Vorbereitungstäters, zum Beispiel Angriffe
gegen mehrere Geldautomaten, worauf die abgegriffenen Daten dann
zusammen geführt werden, würden auch bei ihm nur zu einer materiellen
Tat führen
(6).
Die
praktischen Auswirkungen dieser streng erscheinenden Anforderungen an
die Spruchpraxis sind noch unklar. Wenn die Erkenntnismöglichkeiten
ausgeschöpft sind, dann gilt der Zweifelsgrundsatz
(7)
und in seiner Folge die großzügige Annahme deliktischer Einheiten
(8).
Für die Zwischenzeit ist zu empfehlen, möglichst genaue Feststellungen
über das Handlungsunrecht jedes einzelnen Angeklagten zu treffen. Das
Leitbild, das der BGH zu arbeitsteiligen Skimmingtätern entworfen hat,
lässt nur wenig Raum für durchgreifende Zweifel
(9)
und nimmt die Täter hart ran.
(1)
BGH, Beschluss vom 12.05.2011 - 3 StR 101/11
(2)
Versuch
der Fälschung, 21.02.2011
(3)
BGH, Urteil vom 27.01.2011 - 4 StR 338/10
(4)
BGH, Beschluss vom 15.03.2011 - 3 StR 15/11, Rn 6
(5)
Angleichung des Rechts beim Falschgeld und Rauschgift, 13.03.2011
(6)
BGH, Urteil vom 13.01.2010 - 2 StR 439/09, Rn 14
(7)
Beispiel gebend: BGH, ebenda
(6), Rn 13.
(8)
Ebenda
(5).
(9)
Skimming und Mittäterschaft, 03.04.2011;
BGH, Urteil vom 17.02.2011 - 3 StR 419/10, Rn 4.
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PhotoShop und Urkunde |
Das angefochtene Urteil unterliegt insgesamt der
Aufhebung, da es nicht den Mindestanforderungen genügt, die an die
Urteilsgründe auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie
hier, nach einer Verfahrensabsprache ergangen ist. Allein die
Bereitschaft des Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine
Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht
überschreitet, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur
Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den
Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung
erforderlich ist.
(1) |
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Der
gewohnte Trick ist einmal wieder gelungen. Zunächst holt die
Verteidigung alles Entgegenkommen der Staatsanwaltschaft und des
Gerichts heraus und man trifft eine Verfahrensabrede
(2). Der Angeklagte räumt die Vorwürfe möglichst wortlos ein und nach
knapper Hauptverhandlung wird er zur zugesagten Höchststrafe oder
unterhalb von ihr bestraft. Für einen Rechtsmittelverzicht besteht ein
Protokollierungsverbot (
§ 302 Abs. 1 S. 2 StPO). Statt dessen legt der Angeklagte ein
Rechtsmittel ein und das Gericht muss aus dem dürftigen Inhalt der
Beweisaufnahme ein Urteil schnitzen, das den gehobenen Anforderungen des
BGH genügt. Das geht planmäßig schief.
In der neuen Hauptverhandlung kommt dem wortbrechenden Angeklagten
dann das Verschlechterungsverbot zu Gute (
§ 331 Abs. 1 StPO).
Die
unvermeidbare Zurechtweisung des BGH führt uns in die Tiefen des Urkundenrechts (
§ 267 StGB). Eine Urkunde ist nach üblicher Definition eine
verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet
und bestimmt ist und einen Aussteller erkennen lässt. Mit anderen
Worten: "Ich", also der Aussteller, habe etwas wahrgenommen (Bericht,
Gutachten), verspreche etwas (Zahlungsversprechen, Anweisung, Testament)
oder unterwerfe mich dem Recht eines anderen (Schuldanerkenntnis,
Rechtsfolgenvereinbarung). Ungeachtet der Richtigkeit oder des
vorausgegangenen Geschehens gilt der erste Anschein zugunsten des
urkundlichen Inhalts. Keine falsche Urkunde nach deutschem Rechts ist
die schriftliche Lüge, in der der Aussteller Falsches erklärt.
Ein langer
Findungsprozess begleitet die fotografischen und digitalen Abbildungen
von Urkunden. Schon 1971 hat der BGH getitelt: Fotokopien sind
grundsätzlich keine Urkunden im Sinne des
§
267 StGB
(3).
Im
aktuellen Fall hat der Angeklagte Handyverträge vermittelt und dazu dem
Mobilnetzbetreiber Scheinverträge vorgespiegelt, indem er
Vertragspartner erfand und für ihre Legende mit einem
Bildbearbeitungsprogramm echt aussehende Personalpapiere und
Zahlungskarten gestaltete, deren Ausdruck er dem Unternehmen vorlegte,
um die Authentizität der abgeschlossenen Verträge zu belegen. Damit
bekam er die begehrten Handys und Provisionen und konnte die Geräte
anderweitig verscherbeln.
Der BGH sieht zwar die unter falschem Namen und mit gefälschten
Unterschriften ausgestellten Verträge als falsche Urkunden an, nicht
aber die (in meinen Worten) "gephotoshopten" Ausweispapiere:
Durch die Ausdrucke von Bilddateien eines Personalausweises unter
manipulativer Änderung von Personaldaten und Lichtbild sind weder
unechte oder verfälschte Urkunden hergestellt worden, noch hat der
Angeklagte solche Urkunden gebraucht, indem er die Ausdrucke verwendete,
um vorzutäuschen, dass von den fiktiven Kunden Personaldokumente
vorgelegen hätten.
Urkunden im Sinne des
§ 267 Abs. 1 StGB sind verkörperte Erklärungen, die ihrem
gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen
lassen. Einer bloßen Fotokopie ist, sofern sie nach außen als
Reproduktion erscheint, mangels Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers demgegenüber
kein Urkundencharakter beizumessen (...). Zwar kann im
Wege computertechnischer Maßnahmen wie der Veränderung eingescannter
Dokumente grundsätzlich eine (unechte) Urkunde hergestellt werden. Dafür
muss die Reproduktion jedoch einer Originalurkunde so ähnlich sein,
dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann
(...). Daran fehlt es hier. Die Ausdrucke der Computerdatei des gescannten
Personalausweises wiesen nicht die typischen Authentizitätsmerkmale auf,
die einen Originalausweis prägen. Sie sollten nach ihrem
Dokumentationszweck wie Kopien verwendet werden und spiegelten erkennbar
lediglich ein Abbild eines Personalausweises wider.
Da der von den Ausdrucken der Computerdatei jeweils abgebildete Personalausweis
tatsächlich nicht existierte und diesbezüglich somit zu keinem Zeitpunkt
eine falsche Urkunde vorgelegen hat, erfüllt die Verwendung dieser
Ausdrucke auch nicht den Tatbestand der Urkundenfälschung in Form des
Gebrauchens einer unechten Urkunde (...)
(1)
BGH, Beschluss vom 09.03.2011 - 2 StR 428/10, Rn 3
(2)
Grenzen der Verständigung, 03.04.2011
(3)
BGH, Urteil vom 11.05.1971 - 1 StR 387/70
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BVerfG: Direkte Auskunft über Bestandsdaten |
§ 161 Abs. 1 StPO stellt als Ermittlungsgeneralklausel
die Ermächtigungsgrundlage für Ermittlungen jeder Art dar, die nicht mit
einem erheblichen Grundrechtseingriff verbunden sind und daher keiner
speziellen Eingriffsermächtigung bedürfen. Sie ermächtigt die
Staatsanwaltschaft zu den erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen, die
weniger intensiv in Grundrechte des Bürgers eingreifen (...). Die Staatsanwaltschaft kann auf dieser
Grundlage in freier Gestaltung des Ermittlungsverfahrens die
erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung von Straftaten ergreifen (vgl.
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September
1995 - 2 BvR 103/92 ...).
§ 161 Abs. 1 StPO bildet auch die Rechtsgrundlage für die
allgemeine Erhebung personenbezogener Daten (...) und
damit für eine Ermittlungsanfrage der Staatsanwaltschaft gegenüber
privaten Stellen wie den hier betroffenen Kreditkartenunternehmen.
(1) |
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15.06.2011
Während das
BMJ mit einem ungeeigneten Gesetzentwurf die Öffentlichkeit erfreut
(2) hat das BVerfG mit
bemerkenswerter Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass die
beim Provider gespeicherten Verkehrsdaten dann nicht mehr dem
Fernmeldegeheimnis unterliegen, sobald der Empfänger die an ihn
gerichtete Nachricht empfangen hat
(3).
Demgegenüber unterfallen solche Verbindungsdaten, die nach Abschluss des
Kommunikationsvorgangs beim Telekommunikationsteilnehmer aufgezeichnet
und gespeichert werden, nicht dem Schutzbereich des
Art. 10 Abs. 1 GG, sondern werden durch das Recht auf
informationelle
Selbstbestimmung (
Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
Art. 1 Abs. 1 GG) und gegebenenfalls durch
Art. 13 Abs. 1 GG geschützt (...). Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses
endet in dem Moment, in dem die Nachricht bei dem Empfänger angekommen
und der Übertragungsvorgang beendet ist.
(3)
Auch unter
Berücksichtigung der im Urteil zur Vorratsdatenspeicherung aufgestellten
Grundsätze (
BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR
586/08 ...) lässt sich nicht sagen, dass die
Herausgabe einer einzelnen IP-Adresse losgelöst von den angesprochenen
Fragen in jedem Fall einen derart schwerwiegenden Eingriff in den
Schutzbereich des
Art.
10 Abs. 1 GG darstellen würde, dass eine auf die allgemeine
Ermittlungsgeneralklausel des
§
161 Abs. 1 StPO gestützte Auskunftserteilung in jedem Fall unzulässig
wäre (zur Reichweite des
§
161 Abs. 1 StPO vgl.
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Februar 2009
- 2 BvR 1372/07, 2 BvR 1745/07 ...).
(4)
Das hat zur Folge, dass einfache
Bestandsdatenauskünfte - auch wenn der Provider wegen dynamischer
IP-Adressen auf Verbindungs- oder Vorratsdaten zurückgreifen muss -
allein aufgrund der allgemeinen Ermittlungsermächtigung der
Staatsanwaltschaft und der Polizei
(5) aus
§ 161 Abs. 1 StPO gegeben werden müssen. Entsprechende
Verfassungsbeschwerden gegen die Verhängung von Bußgeldern wegen
Auskunftsverweigerung hat das Gericht abgewiesen.
Bereits in
seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung
(6) hat das BVerfG erklärt, dass die Bestandsdatenabfrage kein Eingriff
von besonderer Tiefe ist, so dass für sie keine Beschränkungen in der
Form eines Straftatenkatalogs erforderlich sind. Das hebt das Gericht
jetzt noch einmal hervor und verweist besonders auf seine Entscheidung
zum staatsanwaltschaftlichen Auskunftsersuchen
(7). Darin grenzt es die spezifizierte Auskunft gegen
Kreditkartenunternehmen gegenüber der Rasterfahndung gemäß
§ 98a StPO ab, bei der immer mehrere Datenquellen miteinander
verglichen werden, um aus einer Vielzahl von personenbezogenen Daten die
Verdächtigen einzugrenzen.
Darin unterscheidet sich die Datenabfrage: Sie bestimmt genaue
Kriterien, nach denen die Auskunftspersonen ihre eigenen Datenbestände
durchsuchen sollen. Im Ergebnis bekommt die Strafverfolgung dadurch nur
die personenbezogenen Daten, auf die die Kriterien zutreffen. Dadurch
gelangt die Strafverfolgung zu keinen überschießenden Daten von
Unverdächtigen.
Nichts
anderes gilt für die Bestandsdatenabfrage unter Rückgriff auf
Verkehrsdaten. Den Abgleich muss der Provider selber vornehmen und am
Ende bekommt die Strafverfolgung keine Auskunft über Verkehrsdaten,
sondern nur über die Person, für die ein bestimmtes, einzelnes
Verkehrsdatum bereits bekannt ist.
Dem
Besserwisser sei es gestattet, darauf hinzuweisen, dass das BVerfG immer
noch den nicht mehr einschlägigen Begriff der "
Verbindungsdaten" verwendet. Zutreffend müsste es von
Verkehrsdaten sprechen.
(1)
BVerfG, Beschluss vom 17.02.2009 - 2 BvR 1372/07,
Rn 26
(2)
7-Tage-Regelung, 11.06.2011
(3)
BVerfG, Beschluss vom 13.11.2010 - 2 BvR 1124/10,
Rn 13
(4)
Ebenda
(3), Rn 22.
(5)
"Ermittlungspersonen" gemäß
§ 152 GVG.
(6)
BVerfG, Urteil vom 02.03.2010 - 1 BvR 256, 263, 586/08, Leitsatz 6, Rn
256, 257
(7)
Ebenda
(1).
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kriminalistische List oder Verdeckter Ermittler? |
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15.06.2011
Darf ein
Polizist verschweigen, dass er ein Polizist ist?
Mit den Themen "nicht offen ermittelnder
Polizeibeamter" - NoeP, Verdeckter Ermittler
(1) und Scheinkäufe
(2) beschäftigt sich bereits eine (wieder gefundene) Entscheidung des
BGH aus dem Jahr 1995
(3) (siehe unten). Ihr geht es im Wesentlichen um die Abgrenzung, ob
ein Polizeibeamter noch als NoeP anzusehen oder sein Einsatz bereits an
den Vorschriften über den Verdeckten Ermittler zu messen ist. Das Thema
ist aktuell geblieben, wie auch eine Entscheidung aus dem Vorjahr zeigt
(4). Danach ist der NoeP-Einsatz im Rahmen der kriminalistischen
List zulässig, darf er den Kontakt zu einem Verdächtigen im Einzelfall
aufnehmen und muss einen Beschuldigten nicht förmlich belehren (siehe
auch
private Hörfalle).
Das Thema bleibt aktuell, weil es sich bei der Frage nach den zulässigen
Ermittlungen im Internet wieder neu stellt
(5).
Am 7. März 1995 hat der BGH bereits ausgeführt
(6):
<7>
Entscheidend ist, ob der Ermittlungsauftrag über einzelne wenige,
konkret bestimmte Ermittlungshandlungen hinausgeht, ob es erforderlich
werden wird, eine unbestimmte Vielzahl von Personen über die wahre
Identität des verdeckt operierenden Polizeibeamten zu täuschen, und ob
wegen der Art und des Umfanges des Auftrages von vornherein abzusehen
ist, dass die Identität des Beamten in künftigen Strafverfahren auf
Dauer geheimgehalten werden muss. Dabei ist darauf abzustellen, ob der
allgemeine Rechtsverkehr oder die Beschuldigtenrechte in künftigen
Strafverfahren eine mehr als nur unerhebliche Beeinträchtigung durch den
Einsatz des verdeckt operierenden Polizeibeamten erfahren können.
<8> Ein
Einsatz als verdeckter Ermittler kann danach ausscheiden, wenn ein
Polizeibeamter - sei es auch unter einer Legende - lediglich als
Scheinaufkäufer auftritt, ohne in die Ermittlungen darüber hinaus
eingeschaltet zu sein. … dass der Polizeibeamte nicht nur bei einem
Scheinaufkauf mitwirkte, sondern dass er langfristig angelegte
Ermittlungsmaßnahmen gegen einen sich immer mehr vergrößernden
Personenkreis durchführte.
(1)
verschiedene V-Personen, 20.04.2008
(2)
keine
Tatprovokation, 20.04.2008
(3)
BGH, Urteil vom 07.03.1995 - 1 StR 685/94
(4)
BGH, Beschluss vom 18.05.2010 – 5 StR 51/10, Rn 15
(5)
Dieter
Kochheim, Ermittlungen im Internet, 12.05.2011
(6)
Ebenda
(3).
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private Hörfalle |
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15.06.2011
Die
Rechtsprechung zur Hörfalle
(1) wird vom BGH wieder aufgenommen
(2) und damit vor allem bestätigt, dass die strengen
Belehrungspflichten des
§ 136 StPO nur auf das Verhältnis zwischen dem Beschuldigten und den
Strafverfolgungspersonen anzuwenden sind
(3).
Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind diese Vorschriften
auf Befragungen eines Beschuldigten durch Privatpersonen nicht anwendbar.
Zum Begriff der Vernehmung im Sinne der StPO gehört vielmehr, dass der
Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und
in dieser Eigenschaft von ihr eine Auskunft verlangt. Da die Regelungen
nach ihrem Sinn und Zweck den Beschuldigten vor der irrtümlichen Annahme
einer Aussagepflicht im Rahmen einer Kraft staatlicher Autorität
vorgenommenen Befragung bewahren sollen, sind sie auch dann nicht
entsprechend anwendbar, wenn eine "vernehmungsähnliche" Situation durch
eine Privatperson, die - wie hier - als Informantin der Polizei tätig
wird, hergestellt wird. Aus den gleichen Gründen stellt sich das hier in
Rede stehende Vorgehen auch nicht als unzulässige Umgehung des
§ 163a Abs. 4,
§ 136 Abs. 1 StPO dar (
BGH, Beschluss vom 13. Mai 1996 - GSSt
1/96,
BGHSt 42, 139, 145;
BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 StR
104/07,
BGHSt 52, 11, 15 f.).
Veranlasst eine Privatperson unter Verheimlichung ihres
Ermittlungsinteresses einen Tatverdächtigen, mit ihr ein Gespräch über
die Tat zu führen, so begründet dies entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers auch keinen Verstoß gegen die unmittelbar oder
entsprechend heranzuziehende Regelung der
§ 163a Abs. 3,
§ 136a Abs. 1 StGB.
(1)
Lauschangriff am Mann, 25.04.2009
(2)
BGH, Beschluss vom 31.03.2011 - 3 StR 400/10, Rn 8,
9
(3)
BGH, Beschluss vom 18.05.2010 - 5 StR 51/10, Rn 16
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Cyberfahnder |
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© Dieter Kochheim,
11.03.2018 |