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März 2011 |
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Bestandsdatenauskünfte und Rechtsschutzverweigerung |
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11-03-01 Der Unfug beginnt bereits bei der zweiten Überschrift: Das verfassungsrechtlich umstrittene Instrument wird offenbar nicht nur auf den Rechnern von Terroristen und Schwerverbrechern installiert. Wovon redet Mühlbauer? Wenn man weiß, was der Bayerntrojaner ist, dann würde man meinen: Von der Onlinedurchsuchung. Bis zu ihr dringt er aber nicht vor, sondern er fabuliert über das, was er Vorratsdatenspeicherung nennt und richtigerweise eine Bestandsdatenabfrage ist. Nur weil irgendwer 'mal "Nö!" gesagt hat, ist das alles natürlich "umstritten". "Umstritten" bedeutet: Ich bin dagegen, habe aber keine guten Argumente für meine Meinung. In der Unter-Überschrift enthalten ist die sanfte Suggestion: Das könnte ja jeden treffen und nicht nur Terroristen und Schwerverbrecher! Wenn er von der Vorratsdatenspeicherung spräche, dann: Stimmt. Das ist eines der beiden schweren verfassungsrechtlichen Probleme in ihrem Zusammenhang. Wenn er hingegen von der Onlinedurchsuchung spräche: Unfug. Sie ist jedenfalls im Strafverfahren nicht zugelassen.
Den Fall,
den Mühlbauer zum Anlass seiner Ausfälle zur Quellen-TKÜ macht, hat er wie es scheint von einem
Strafverteidiger gesteckt bekommen, der doch wirklich schon vier Jahre
Berufserfahrung als Rechtsanwalt hat
(2).
Der hat ihm wahrscheinlich gesagt, dass die gegen seinen Mandanten erhobenen
Vorwürfe sehr umstritten sind. |
Das sieht das Landgericht Landshut (3), auf das wir noch zu sprechen kommen, etwas anders. Danach war des Anwalts Mandant einer Katalogtat gemäß § 100a Abs. 2 StPO Nr. 7 a und b StPO hinreichend verdächtig, wobei es in diesem Zusammenhang ausreichend gewesen wäre, wenn er einfach nur verdächtig war (4). Ein Blick in den Straftatenkatalog offenbart: Es geht um den gewerbs- und bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln, also um Verbrechen, für die mindestens 1 oder 2 Jahre Freiheitsstrafe drohen. Somit handelt es sich nach der Definition des BVerfG um keine Lappalien, sondern um besonders schwere Kriminalität. Die Umstände, warum Mühlbauer zur Untermauerung seiner Behauptung, der Verdacht sei fragwürdig, unter Umständen auf ein Urteil des BGH vom November 2010 verweist (5), verrät er nicht. Das Urteil findet klare Worte zu den Einzelheiten des materiellen BtM-Strafrechts und enthält nichts zum Recht im Ermittlungsverfahren. Mit anderen Worten: Mühlbauer nimmt den Fall eines Beschuldigten, der des qualifizierten BtM-Handels verdächtig war, also eines im Gesetzessinne Verbrechers, zum Anlass, um seine Bauchgefühle gegen die Strafverfolgung auszuscheiden. Das ist dann auch dabei herausgekommen.
Kommen wir
zu den Fakten! |
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Onlinedurchsuchung | ||||
Die Quellen-TKÜ ist eine Form der Überwachung der Telekommunikation (TKÜ), die der § 100a StPO unter engen Voraussetzungen zulässt (11). Sie gehört zu den verdeckten Eingriffsmaßnahmen, die von § 101 StPO besonders hervorgehoben werden. Bei der üblichen TKÜ wird die laufende Kommunikation beim Zugangsprovider (Telefonunternehmen, Mobilnetzbetreiber) protokolliert und an die Strafverfolgungsbehörde weiter gesendet (12). Das funktioniert dann nicht, wenn die Kommunikationsdaten bereits im Endgerät verschlüsselt werden, wie es bei der Internettelefonie üblich ist ("Skype").
beim
Abhören seiner Festnetz- und Mobiltelefonate ärgerten sich die
beteiligten LKA-Beamten, meint Mühlbauer. Damit mag er sogar recht
haben. Letztlich kommt es aber darauf an, eine rechtsstaatliche Lösung
zu finden, und nicht darauf, den vorübergehenden Gefühlen von
Strafverfolgern Rechnung zu tragen
(13).
Die machen nämlich ihren Job und wenn sie angesichts von Verbrechen noch
Ärger empfinden, dann finde ich das gut! |
Im Zusammenhang mit der Onlinedurchsuchung hat das BVerfG auch die Grenzen der Quellen-TKÜ beleuchtet (14). Dazu besteht Veranlassung, weil die eingesetzte Spionagesoftware prinzipiell und einfach erweitert werden kann, um nicht nur die Kommunikation zu protokollieren, sondern auch andere Quellenzugriffe durchzuführen, die eine strafprozessual unzulässige Onlinedurchsuchung wären. Das wäre in erster Linie die Durchsicht der Speichermedien am Endgerät nach gespeicherten Dateien, also eine Onlinedurchsuchung im Wortsinne, und die Protokollierung der laufenden Arbeiten am Endgerät (15). Wie nicht anders zu erwarten, ist die Quellen-TKÜ "umstritten" (16).
Mit diesen Fragen hat sich auch das LG Landshut auseinander gesetzt und
völlig zu recht bemängelt, dass im Zusammenhang mit der gerichtlich
zugelassenen Quellen-TKÜ auch regelmäßige Screenshots vom Bildschirm des
Zielgerätes gefertigt werden durften. Diese Maßnahme geht über die
Protokollierung der Kommunikation hinaus und stellt einen von der
Strafprozessordnung nicht zugelassenen Eingriff dar
(17). |
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Vorratsdatenspeicherung | Verpflichtung zur Speicherung | |||
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Unter der großen Überschrift "Vorratsdatenspeicherung" sind deshalb drei verschiedene Fragen vereint, die Mühlbauer nicht erkennt, obwohl er dazu nur die Leitsätze des BVerfG lesen müsste:
Speicherpflicht für Verkehrsdaten |
In der Begründung heißt es weiter:
Der Gesetzgeber darf eine sechsmonatige Speicherung der
Telekommunikationsverkehrsdaten auch als erforderlich beurteilen.
Weniger einschneidende Mittel, die ebenso weitreichende
Aufklärungsmaßnahmen ermöglichen, sind nicht ersichtlich. Eine
vergleichbar effektive Aufklärungsmöglichkeit liegt insbesondere nicht
im sogenannten Quick-Freezing-Verfahren ... Ein solches Verfahren, das
Daten aus der Zeit vor der Anordnung ihrer Speicherung nur erfassen
kann, soweit sie noch vorhanden sind, ist nicht ebenso wirksam wie eine
kontinuierliche Speicherung, die das Vorhandensein eines vollständigen
Datenbestandes für die letzten sechs Monate gewährleistet. <Rn 208> |
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Bestandsdaten: mittelbare Nutzung | Rechtsstaatsgewährung | |||
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Klarer kann man es nicht ausdrücken: Im Hinblick auf die Bestandsdatenabfrage ist die Verwendung von Verkehrsdaten wegen jeder Straftat zulässig. Maßgeblich dafür sind zwei Gesichtspunkte: Einerseits erhalten bei der Bestandsdatenauskunft die Behörden selbst keine Kenntnis der vorsorglich zu speichernden Daten ... Ihr Erkenntniswert bleibt punktuell. Systematische Ausforschungen über einen längeren Zeitraum oder die Erstellung von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen lassen sich allein auf Grundlage solcher Auskünfte nicht verwirklichen. <Rn 256> Maßgeblich ist zum anderen, dass für solche Auskünfte nur ein von vornherein feststehender kleiner Ausschnitt der Daten verwendet wird, deren Speicherung für sich genommen unter deutlich geringeren Voraussetzungen angeordnet werden könnte. <Rn 257>
Der
gegenwärtige, ungeregelte Zustand ist deshalb - auch
verfassungsrechtlich - problematisch, weil die Bestandsdatenabfragen leer
laufen. Insoweit geht es nicht darum, wie Mühlbauer suggeriert, dass die
Strafverfolgungsbehörden "Meinungsdelikte" - mit klareren Worten:
Gesinnungsstraftaten - verfolgen wollen, sondern dass überhaupt
Strafverfolgung in Bezug auf Internetdelikte möglich wird, bei denen die
Beteiligten unter dynamischen IP-Adressen handeln. |
Das richtet sich besonders an den Gesetzgeber, der in der Pflicht ist, eine effektive Strafverfolgung und Rechtsstaat im übrigen zu gewährleisten [ Art. 19 Abs. 4 GG, Kasten oben links, (20)]. Seit einem Jahr können Straftaten und andere Handlungen im Zusammenhang mit dynamischen IP-Adressen nicht mehr verfolgt werden, wenn die Verkehrsdaten beim Provider nach kurzer Zeit bereits gelöscht sind (21). Dafür lässt die jüngste Entscheidung des BGH nur eine Frist von 7 Tagen (22). Die Untätigkeit des Gesetzgebers in Bezug auf die Bestandsdatenabfragen ließe sich trefflich unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutz- und Rechtswegverweigerung diskutieren. Insoweit hat Mühlbauer richtig erkannt: Ja ich will eine Vorratsdatenspeicherung, damit die Bestandsdatenabfrage wegen der allgemeinen Kriminalität wieder möglich wird. Das sage ich aber auch schon seit einem Jahr (23) und nicht nur im Cyberfahnder.
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unmittelbare Nutzung von Verkehrsdaten | ||||
Man beachte die Wortwahl: Das BVerfG verlangt nach schweren Straftaten und nicht etwa nach besonders schweren. Das reicht über die Straftaten hinaus, die sich aus dem Straftatenkatalog des § 100a Abs. 2 StPO ergeben.
Die
unmittelbare Nutzung von Verkehrsdaten zur Strafverfolgung wiegt
ungleich schwerer als die einfache mittelbare. Sie ermöglicht
Bewegungsprofile
(24)
und damit Aussagen über die Lebensführung des Betroffenen, ohne dabei in
jeder Hinsicht beweissicher zu sein. So geben die
Geodaten (Standortdaten) Auskunft über die Funkzelle, in der
ein mobiles Endgerät betrieben wurde, nicht aber darüber, wer es bei
sich geführt hat. Besonders weitreichend ist die Nutzung von Turmdaten
(25),
die Auskunft über alle Endgeräte geben, die sich zu einer bestimmten
Zeit innerhalb einer Funkzelle befanden. Mit dem BVerfG bin auch ich der
Auffassung, dass die unmittelbare Nutzung von Verkehrsdaten der
Aufklärung schwerer Straftaten vorbehalten sein muss. |
Dabei ist der Beweiswert der unmittelbar genutzten Verkehrsdaten für sich alleine beschränkt, worauf ich auch schon mehrfach hingewiesen habe (27). Das ändert nichts daran, dass sie im Zusammenspiel mit anderen Beweismitteln, Tatsachen und Bewertungsregeln wichtig sind und bleiben. Dasselbe Problem stellt sich auch bei den Providerauskünften über Bestandsdaten. Für ihre sachliche Richtigkeit stehen allein die Auskunft gebenden Provider ein. |
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wirre Vorstellungen | Fazit | |||
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Was Mühlbauer nicht verstehen kann oder will, ist der Handlungsdruck, der entsteht, wenn Verkehrsdaten nur kurzfristig zur Verfügung stehen. Er entsteht für den Privatmenschen ebenso wie für die Staatsanwaltschaft, die jedoch unnachgiebigen Handlungspflichten unterliegt (30). Die Staatsanwaltschaft hat für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen ist ( § 160 Abs. 2 StPO). Selbst der unzuständige Staatsanwalt muss innerhalb seines Bezirks alle Amtshandlungen ausüben, bei denen Gefahr im Verzug ist ( § 143 Abs. 2 GVG). Das sind klare gesetzgeberische Handlungsanweisungen, die mit persönlichen Motiven und Befindlichkeiten nichts zu tun haben (31). Angesichts der Gefahr, dass Verkehrsdaten alsbald nicht mehr zur Verfügung stehen, wird die Ermessensschwelle für die Erhebung von Verkehrsdaten deutlich herabgesetzt, so dass andere Ermittlungshandlungen zunächst zurückgestellt werden müssen, auch wenn sie womöglich einen Verdacht ausschließen könnten. Dafür gibt es inzwischen hinreichend praktische Beispiele. Dasselbe gilt für den Privatmenschen. Sobald er wahrnimmt, dass ihm ein Nachteil aufgrund von Geschäften oder einer Kommunikation im Internet droht, muss er sich jedenfalls um die Bestandsdaten kümmern, weil ihm sonst auch Beweisverlust droht. Diese Zugzwänge werden meines Erachtens die fatale Wirkung haben,
dass unsinnig viele mittelbare und unmittelbare Verkehrsdatenabfragen
vorsorglich erfolgen und sich im Nachhinein als unnötig herausstellen
werden. Das wäre allein dem gesetzgeberischen Verzicht auf die
Vorratsdatenspeicherung geschuldet. Oder anders gesagt: Ein Schuss, der
nach hinten losgeht. |
Gesellschaftlichen Sprengstoff birgt die gegenwärtige Verweigerung des Rechtsschutzes im Hinblick auf die Bestandsdatenabfragen. Sie muss in angemessener Zeit und ohne kopflose Hektik möglich sein. Das gilt besonders auch für die Verfolgung privater Schutzrechte, zumal vielen Betroffenen ihre Betroffenheit erst mit der nächsten Telefonrechnung bekannt wird. Die Speicherpflicht für Verkehrsdaten ist ein Politikum - und das zu recht, weil sie mit großer Breitenwirkung Grundrechte berührt. Die öffentlichen Diskussionen haben sich von den abgewogenen Argumenten des BVerfG weit entfernt. Wenigstens der Gesetzgeber sollte es ernst nehmen und transparente und effektive Verwertungsregeln und Kontrollen schaffen.
Missverständnisse kann es geben und besonders in der Auseinandersetzung
über politisch beachtete Themen sind sie fast unvermeidlich. Mühlbauers
Beiträge sind deshalb ärgerlich, weil er unrichtige Begriffe verwendet, falsche Zusammenhänge
herstellt und Schlüsse äußert, die er mit ein wenig Recherche schnell
aus der Welt schaffen könnte. Das ist kaum mit journalistischer Sorgfalt
in Einklang zu bringen.
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Anmerkungen | ||||
(2) Nichts für ungut, Herr Kollege. Das ist Mühlbauers Link. (3) LG Landshut, Beschluss vom 20.01.2011 - 4 Qs 346/10 (4) (3). Zu den Verdachtsgraden: Verdacht, 2007. (5) Originalquelle: BGH, Urteil vom 02.11.2010 - 1 StR 580/09. (6) LKA Bayern nutzt "Bayerntrojaner" bereits zum VoIP-Abhören? Piratenpartei Deutschland 23.01.2008 (7) Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Kostenverteilung zwischen Polizei und Staatsanwaltschaften im Strafverfahren (Skype), o.D. und ohne Az. (8) Online-Zugriff an der Quelle, 08.11.2008 (9) Landshut Stalker, 31.01.2011 (10) (3) (11) Übersicht: Überwachung der Telekommunikation, 2007 (12) Mitschnitte, 2007 (13) Das ist die Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Sie soll den Rechtsstaat sichern und keine Orden an Verbrecher verleihen.
(14)
BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 - 1 BvR 370/07, 595/07,
Rn 188, 189;
(15)
Formen der Quellen-Überwachung, 08.11.2008 |
(17) (3), S. 7.
(18)
Umgang mit Verkehrsdaten, 07.03.2010; (19) (18), Leitsatz 1.
(20)
BVerfG,
Beschluss vom 18.03.2009 - 2 BvR 2025/07; (21) (18)
(22)
BGH, Urteil vom 13.01.2011 - III ZR 146/10; (23) Datenschatten in der Überwachungsgesellschaft, 27.06.2010
(24)
Geodaten, Bewegungsdaten, 23.08.2008; (25) Kritik am Erfolg, 23.07.2008
(26)
Vorratsdaten, 01.01.2011; (28) wirre Argumentation, 22.01.2011 (29) Vorratsdaten. Interview bei Spiegel online, 14.01.2011 (30) Volltext: Meine Antwort an Knoke vom 19.12.2010.
(31)
Die ungewöhnliche Wortwahl zeigt auch, dass es sich um alte
Formulierungen aus den Urfassungen beider Gesetze handelt. |
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Cyberfahnder | ||||
© Dieter Kochheim, 11.03.2018 |