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Ermittlungen - Verdacht
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Treppengeländer


Anfangsverdacht
dringender Verdacht
hinreichender Verdacht
Abgrenzung laut BGH
 

 
Das Strafverfahrensrecht kennt drei verschiedene "Verdachtsarten" mit unterschiedlichen Anforderungen an die Beweislage und die Erfolgswahrscheinlichkeit nach einer Verfahrensentscheidung.

einfacher Verdacht (auch: Anfangsverdacht)
dringender Verdacht im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft
hinreichender Verdacht wegen der Anklageerhebung.
   

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Zur Einführung: Die Verdachtschöpfung und ihre Absicherung ist ein zeitiger Prozess mit dem Ziel, ein menschliches Verhalten wegen seiner Strafbarkeit zu beurteilen.

Die Qualität (Begründetheit) des Verdachts ist die Grundlage für die Verhältnismäßigkeit und Zulässigkeit von Ermittlungshandlungen.

Die Grundlage bilden immer Fakten, also tatsächliche Anhaltspunkte ( § 152 Abs. 2 StPO). Sie können in jeder Form sinnlicher Wahrnehmungen bestehen. Es kann sich also um personelle Beweise in Form von Aussagen, Strafanzeigen oder andere Hinweise handeln oder um körperliche Beweisstücke.

Im zweiten Schritt sind im Wege einer Art Qualitätssicherung die Aussage und ihr Beweiswert auf ihre Geltungssicherheit zu bewerten.

 
Stufen der Verdachtsprüfung
1 tatsächliche Anhaltspunkte
Fakten, Fakten, Fakten
2 Inhalt ihrer Aussage
wortgetreue und grammatische Beschreibung der Anhaltspunkte
3 Geltungssicherheit, Absicherung
Wiederholbarkeit, Häufigkeit, Seltenheit;
Bewertung der Anhaltspunkte selber
4 Zusammenwirken
Schlussfolgerungen aus der Summe der Anhaltspunkte
5 Geltungssicherheit, Absicherung
Bewertung des Zusammenwirkens der Fakten

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Dazu gehört die genaue Kennzeichnung dessen, was der tatsächliche Hinweis inhaltlich aussagt.

Wegen körperlicher Gegenstände ist dabei besonders nach ihrer Herkunft, Verbreitung und Individualität zu fragen.

Das Qualitäsmerkmal für personelle Beweise ist ihre Quelle und deren Glaubwürdigkeit sowie die Glaubhaftigkeit der Aussage, die sich z.B. an ihrer inneren Schlüssigkeit und ihrem Einklang mit Erfahrungswerten messen lässt.

Daran schließen die Fragen nach der Sicherheit des Bewertungsergebnisses und danach an, ob andere Bedeutungen naheliegend oder abseitig sind.

Die Verdachtsbildung ist schließlich die Anwendung von Logik, Alltagswissen, Fachwissen und kriminalistische Erfahrung auf den Aussagewert der zugrunde liegenden Fakten.

Das Ergebnis davon ist der einfache Verdacht, also die Schlussfolgerung aus Fakten und ihrer Bewertung mit dem Ergebnis eines ursächlichen Geschehens, eines menschlichen Handelns und dem Rückschluss auf die handelnde Person.

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In den Verdacht fließt somit eine doppelte Bewertung ein, die sowohl den isolierten Aussagewert eines tatsächlichen Anhaltspunktes ("Wahrheit") als auch die Wahrscheinlichkeit eines von Anhaltspunkten gekennzeichneten Geschehensablaufs betreffen.

Der durch Tatsachen untermauerte Verdacht, wie er für tief greifende Ermittlungshandlungen zu fordern ist (z.B. wegen der Überwachung der Telekommunikation, § 100a StPO), verlangt eine durch Bewertung gefestigte oder weitere Anhaltspunkte untermauerte, also angereicherte Verdachtsbildung. Es handelt sich um einen verstärkten und abgesicherten einfachen Verdacht.

Die Aufgabe des Ermittlungsverfahrens ist die Prüfung und Absicherung des anfänglichen Verdachts.
 

Stehen dazu keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung oder sind sie (auch wegen fehlender Zulässigkeit) ausgeschöpft, ohne dass die tatsächlichen Anhaltspunkte wegen ihres Aussagewertes (inhaltliche Bewertung) und wegen der nahe liegenden Geschehensabläufe so abgesichert sind, dass eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit besteht (hinreichender Tatverdacht, § 170 Abs. 1 StPO), muss die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen. Wenn die Beweise hingegen erhoben, gesichert und widerspruchsfrei sind, ist sie zur Erhebung der Anklage berechtigt und in aller Regel verpflichtet (Offizialdelikte, § 152 Abs. 2 StPO).
 

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Der Anfangsverdacht setzt nach § 152 Abs. 2 StPO voraus, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen.

Dafür müssen zunächst fallbezogene Tatsachen vorliegen, die entweder gesichert sind, oder deren Richtigkeit im Ermittlungsverfahren zunächst überprüft werden muss (durch Vernehmungen, amtliche Auskünfte, Durchsuchungen oder andere Eingriffsmaßnahmen).

Zur Bewertung dieser Tatsachen dürfen auch die kriminalistische Erfahrungen eingesetzt werden, die sich anhand vergleichbarer Fälle und Konstellationen in der Praxis gebildet haben. Sie stellen eine Ergänzung dar.

Danach verlangt der einfache Verdacht nicht nach einer geschlossenen Beweiskette, sondern nach einer fachkundigen Schlussfolgerung, die auf Fakten aufbaut und ihren Zusammenhang mit gesicherten Erfahrungen erklärt.

 
In der Vergangenheit hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach die Praxis kritisiert, wenn sie ihre Erfahrungswerte an die Stelle von Anknüpfungstatsachen gestellt hat, zuletzt im Beschluss vom 30.04.2007 - 2 BvR 2151/06. Dort heißt es:

Das Tatbestandsmerkmal "bestimmte Tatsachen" in § 100a Satz 2 StPO erfordert, dass die Verdachtsgründe über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen müssen. Bloßes Gerede, nicht überprüfte Gerüchte und Vermutungen reichen nicht. Erforderlich ist, dass auf Grund der Lebenserfahrung oder der kriminalistischen Erfahrung fallbezogen aus Zeugenaussagen, Observationen oder anderen sachlichen Beweisanzeichen auf die Eigenschaft als Nachrichtenmittler geschlossen werden kann.

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Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts tendiert dazu, den Verdacht zu unterscheiden nach einem einfachen Verdacht, wie er dem Gesetzeswortlaut nach für die Anordnung der Durchsuchung gemäß § 102 StPO (beim Verdächtigen) verlangt wird, und dem auf bestimmte Tatsachen beruhenden Verdacht (z.B. in § 100a StPO)

In seinem Urteil vom 16.02.1995 - 4 StR 729/94 - hat der BGH dazu ausgeführt (Rn 15):

Es versteht sich von selbst, daß gerade im vorbereitenden Verfahren, abhängig unter anderem von der kriminalistischen Erfahrung des zur Entscheidung Berufenen, unterschiedlich beurteilt werden kann, ob bestimmte Tatsachen einen Verdacht begründen (vgl. BVerfG MDR 1984, 284) und ob dieser - wie erforderlich ist, auch wenn das Gesetz keinen bestimmten Verdachtsgrad verlangt - mehr als nur unerheblich ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 100a Rdn. 6; Rudolphi in Festschrift für Schaffstein, 1975, S. 433, 436).

Mit dem Bundesverfassungsgericht muss man davon ausgehen, dass der einfache Verdacht der Anfangsverdacht ist. Eine Verdächtigung ohne Tatsachenbasis führt hingegen zur Nichtbefassung (Einstellung gemäß § 152 Abs. 2 in Verbindung mit § 170 Abs. 2 StPO), sei sie auch noch so kriminalistisch fundiert ("alle Kreter lügen"). Nur im Zusammenhang mit der Organisierten Kriminalität haben die Justizverwaltungen die Staatsanwaltschaften zu Initiativermittlungen ermächtigt (Anlage E zu den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren - RiStBV), die der Frage gelten, "ob" ein Anfangsverdacht besteht. Im Zusammenhang mit solchen Ermittlungen darf die Staatsanwaltschaft aber nur andere Vorgänge auswerten, Auskünfte von anderen Behörden einholen und Personen befragen, nicht aber Maßnahmen unternehmen, die nur mit Eingriffsbefugnissen durchgeführt werden können (wie die Durchsuchung, die Überwachung der Telekommunikation, Providerauskünfte usw.).

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Dort, wo der Gesetzgeber in einer Eingriffsnorm das Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten verlangt, meint er eine stabilere Faktenlage als die, die das Legalitätsprinzip in § 152 Abs. 2 StPO vorsieht.

Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem "großen Lauschangriff" in seinem Urteil vom 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98, - 1 BvR 1084/99 - ausgeführt (Rn 247):

Der durch bestimmte Tatsachen begründete Verdacht unterliegt zwar höheren Anforderungen als der bloße Anfangsverdacht, erreicht jedoch nicht bereits den Grad eines "hinreichenden" oder gar "dringenden" Tatverdachts, den andere Normen der Strafprozessordnung vorsehen.
 

§ 100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO erfordert eine konkretisierte Verdachtslage. Hierfür reicht das bloße Vorliegen von Anhaltspunkten nicht aus. Es müssen vielmehr konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis für den Verdacht vorhanden sein (vgl. BVerfGE 100, 313 <395> ). Nur bereits ermittelte und in Antrag und Anordnung genannte Tatsachen kommen für die jeweilige Bewertung in Betracht. Da sich die akustische Wohnraumüberwachung nur gegen den Beschuldigten richten und erst als letztes Mittel der Strafverfolgung eingesetzt werden darf, muss auf Grund der bereits vorliegenden Erkenntnisse eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Begehung der besonders schweren Katalogstraftat bestehen.
 

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Der dringende Tatverdacht ist die Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls oder anderen nachfolgenden freiheitsentziehenden Maßnahmen ( §§ 112 StPO, 127 Abs. 2 StPO, 126a StPO).

Er besteht, wenn nach dem aktuellen  Ermittlungsstand nicht nur eine überwiegende, sondern eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte verurteilt wird.
 

 
Die Anforderungen an die Stärke des dringenden Tatverdachts wechseln und nehmen im Verlauf der strafrechtlichen Untersuchung zu. Entscheidend für ihn sind die bereits gesicherten Beweisergebnisse, die Ermittlungsmöglichkeiten, die zwar noch offen sind, aber planvoll und zügig angegangen werden, und die kriminalistische Erfahrung sowohl wegen der Stichhaltigkeit der gesicherten Beweise als auch wegen der noch offenen.
 

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Ein hinreichender Tatverdacht liegt vor, wenn eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit besteht.

Die Staatsanwaltschaft muss dazu eine Prognose stellen, die zwei Besonderheiten gegenüber der richterlichen Überzeugung aufweist, die das Gericht erst am Ende der Hauptverhandlung abschließend bildet:

1. Der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" gilt nicht. Die Beweismittel müssen insoweit wertneutral gewürdigt werden.

2. Dabei können sich widersprechende Beweisergebnisse, zum Beispiel aus verschiedenen Zeugenvernehmungen, offen und die Beurteilung ihrer Richtigkeit dem Ergebnis der Hauptverhandlung überlassen bleiben.
 

 
Liegt danach ein hinreichender Tatverdachts vor, ist die Staatsanwaltschaft zur Erhebung der Anklage berechtigt.

Nach der Anklageerhebung prüft auch das Gericht den hinreichenden Tatverdacht nach denselben Maßgaben, wenn es über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet. Die Grundlagen des Eröffnungsbeschlusses ( §§ 203, 207 StPO) oder des Nichteröffnungsbeschlusses ( § 204 StPO) sind die Akten und Beweismittel, die ihm mit der Anklage vollständig vorgelegt werden müssen. Im Zwischenverfahren nach Anklageerhebung und vor Eröffnung des Hauptverfahrens kann das Gericht eigene Ermittlungen anstellen und deren Ergebnis seiner Entscheidung zugrunde legen.
 

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Auszug aus dem Beschluss des BGH vom 22.04.2003 - 3 StE 2/02-5 (1) - StB 3/03 -, S. 6:

Hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung (BGHSt 23, 304, 306) auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (BGH NJW 1970, 1543, 1544).
  

 
Hierbei wird ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, als dies beim dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 oder § 126 a Abs. 1 StPO der Fall ist (BGH aaO; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 203 Rdn. 2 m. w. N.).
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018