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  Von 
		Matthias Becker ist bei Telepolis das Buch "Datenschatten" erschienen  (1). 
		Er beschäftigt sich mit den Methoden der elektronischen Überwachung, den 
		Beweggründen der Überwacher und dem Unbehagen der Überwachten. Ihm geht 
		es um die Fragen:  Wie beeinflusst der Datenschatten die sozialen Beziehungen? Wie 
		verändert er die Machtverhältnisse zwischen Staat und Bürger, Polizei 
		und Bevölkerung, im Büro und der Fabrik? (S. 5) Becker trennt nicht immer sauber zwischen dem, was er selber den 
		Datenschatten nennt, und der Präsenz von Überwachung. Der Datenschatten 
		ist die Spur, die man tagtäglich beim Onlinebanking, bei der mobilen 
		Kommunikation, durch Überwachungskameras in öffentlichen Räumen und 
		bei anderen Gelegenheiten hinterlässt. Wer auf sie alle oder auf Teile davon 
		zugreifen kann, kann zugleich auch ein Profil und ein Abbild der 
		Handlungen des Überwachten erstellen. Eine präsente und wahrgenommene Überwachung erfolgt durch die Kamera 
		in der Bank, die auf den Geldautomaten ausgerichtet ist, das Blitzgerät 
		an der Ampelanlage, die Kamera auf öffentlichen Plätzen und besonders 
		stark: Die elektronische Fußfessel. Zwischen dieser Art der Überwachung 
		und den Datenschatten, die durch andere Informationssammlungen 
		(Vorratsdaten, Kontobewegungen u.a.) hervorgerufen werden, trennt Becker 
		nicht immer genau genug. Nehmen wir die elektronische Fußfessel als ein extremes Beispiel. Sie 
		dient dazu, Gefangenschaft zu vermeiden und die droht nicht jedermann. 
		Die Fußfessel muss als Drohung begriffen werden, sonst funktioniert sie 
		nicht. Etwas anderes sind die diffusen Datenschatten und die Überwachung im 
		Geheimen, auf die Becker anspricht (siehe
		 Kasten rechts). Auch insoweit wäre eine differenzierte Betrachtung 
		angezeigt gewesen. Ich gebe ihm recht darin, dass es nicht auf die Art 
		der Überwachung ankommt, sondern darauf - und darin unterscheiden wir 
		uns - welche Erhebungs- und Verwertungsregeln bestehen und wie sie 
		kontrolliert werden. 
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				|  Die Formen der Überwachung unterscheiden 
				sich, je nachdem, in welchem Bereich sie zum Einsatz kommt. Im 
				zwischenmenschlichen Bereich muss sie anders aussehen als in 
				Organisationen wie Unternehmen oder Verwaltungen. Die Macht der 
				Überwacher beruht nicht darauf, welche Technik sie zur Verfügung 
				haben, sondern inwieweit sie die Regeln bestimmen können. 
 
  Überwachung soll abschrecken und einschüchtern. Sie soll 
				Fehlverhalten riskant machen. Damit kommuniziert sie eine 
				Drohung. Stellt sich allerdings heraus, dass hinter dieser 
				Drohung nichts steht, erfüllt sie lediglich eine merkwürdig 
				rituelle Funktion. Die Überwachungskameras repräsentieren die 
				Anwesenheit der Kontrollmacht, obwohl sie nicht zu sehen ist, 
				wie das Kruzifix im Klassenzimmer die spirituelle Gegenwart des 
				Erlösers. Wo der Einsatz von Überwachungstechnik mehr sein soll 
				als ein kommunikativer Akt, ist entscheidend, dass sie sich 
				verbirgt. Das ist in überraschend vielen Fällen der Fall: Die 
				Methoden der Marktforscher, Detektive, Polizisten und Agenten 
				beruhen auf Täuschung und Geheimhaltung. Sie müssen verdeckte 
				Ermittler sein. Überwachung, die den Überwachten keine Regeln 
				vorschreiben kann, muss täuschen und sich verstecken. Sie muss 
				verschleiern, wie sie funktioniert. 
 
  Zunächst aber, das ist ein Allgemeinplatz, kommuniziert 
				Überwachung Misstrauen. Mit unterschiedlichen Folgen legt es den 
				Überwachten nahe, zur Täuschung Zuflucht zu nehmen. Je nach dem, 
				wie leicht das möglich ist, verfehlt Überwachung dann ihr Ziel 
				und führt zu weniger statt zu mehr Kontrolle. Das Misstrauen, 
				das in der Überwachung zum Ausdruck kommt, richtet sich aber 
				nicht nur gegen die Überwachten, sondern auch gegen den 
				Überwacher selbst. Sie ist das Kennzeichen einer Macht, die sich 
				nicht darauf verlassen kann oder nicht verlassen will, dass man 
				ihre Wünsche befolgt. Eskalierende Überwachung zeigt Schwäche. 
				Die Allmachtsphantasien der Sicherheits-Funktionäre sind 
				kompensatorisch: Sie haben Angst vor der Bevölkerung. 
 Becker (S. 161 - 162)
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		| Becker:  Es geht beim Fahnden im 
		Internet also auch um Alltagskriminalität? Kochheim:
  Ich hoffe doch. Die „kleine Kriminalität“ 
		ist im Internet alltäglich. Ich denke da an Betrügereien bei eBay, 
		Täuschungen über die eigene Identität oder an Foren, wo diskriminierende 
		Bilder abgelegt werden. Solche Formen der Kriminalität haben sich weit 
		verbreitet hat und führen zu viel sozialem Unfrieden. 
 Becker:
  Verstehen Sie als Staatsanwalt das Unbehagen in der Bevölkerung, wenn 
		Daten in der Fläche erhoben werden und dann der Justiz zur Verfügung 
		stehen – wie es bei Vorratsdatenspeicherung der Fall ist? Kochheim:
  Selbstverständlich. Auch ich laufe mit einem Handy herum und mein 
		Aufenthaltsort wird sich ein halbes Jahr lang nachvollziehen lassen. 
		Andererseits haben wir wegen der Entscheidung des 
		Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung das Riesenproblem, 
		dass wir bestimmte Delikte überhaupt nicht verfolgen können. An die 
		Vorratsdaten kommen wir nur bei Delikten, die mit mehr als fünf Jahren 
		Freiheitsstrafe geahndet werden. Der ganze große Bereich der einfachen 
		Kriminalität, der für die Bevölkerung ausgesprochen belastend ist, lässt 
		sich dagegen nicht verfolgen. Was ist mit Beleidigung oder Nachstellen 
		im Netz? Wenn wir bei solchen Taten nicht die IP-Adressen ermitteln 
		können, entsteht ein rechtsfreier Raum. 
 Telefoninterview vom 07.12.2009
 
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  Becker geht 
		es um eine grundsätzliche Kritik am Entstehen und an der Auswertung der 
		Datenschatten als geheimer Prozess und an der präsenten Überwachung 
		überhaupt. Die Kehrseite davon artet leicht zur Maschinenstürmerei einerseits 
		oder zur Hilflosigkeit andererseits aus. Das habe ich Becker anhand der 
		Vorratsdatenspeicherung deutlich zu machen versucht (siehe
		 Kasten links): Wenn in Bezug auf "kleine" Betrügereien, 
		Identitätsdiebstahl, Nachstellungen und Verleumdungen keine Rechts- und 
		Strafverfolgung mehr möglich sind, weil die Datenspuren nicht mehr zur 
		Verfügung stehen (sprich: Verkehrsdaten), dann muss eine allgemeine 
		Verunsicherung eintreten. Ihre Folgen sind: Verdrossenheit gegen Staat 
		und Gesellschaft, Apathie oder Faustrecht. Ich möchte weder das Eine 
		noch das Andere. 
		 Globaler 
		Handel, Internet, verzögerungsfreie Kommunikation und die Vorzüge der 
		Informationsgesellschaft können nur funktionieren, wenn dabei 
		Datenschatten entstehen. Deshalb sind auch die Verwertungsregeln so überaus wichtig. 
		Missbräuche, mit denen verschiedene große Unternehmen bekannt geworden 
		sind, lassen sich damit nicht grundsätzlich vermeiden. Dazu braucht es 
		zusätzliche Kontrollmaßnahmen, Sicherheitsstrukturen und Sanktionen. 
		 Beckers 
		undifferenzierte Betrachtung verschiedener Formen und Zwecke der 
		Überwachung behindern ihn offenbar dabei, die Probleme in ihrer wahren 
		Dimension zu sehen. 
 |  Der konsequente Verzicht auf Datenschatten und Überwachung führt 
		zurück in die vor-informationstechnische Gesellschaft und in den 
		Nachtwächterstaat. Die wirtschaftlichen und persönlichen Freiheiten, die 
		die Gegenwart möglich macht, brauchen ein Korrektiv. Das ist die 
		Rechtsstaatlichkeit und die Rechtsschutzgewährung. Damit sie greifen, 
		muss der Staat die Einhaltung von Regeln überwachen und dazu muss er 
		auch rückwirkend auf Datenschatten zugreifen können.
 Dasselbe gilt für die Wirtschaft. Wenn sie keinem Vertrag im 
		Onlineverkehr vertrauen kann, dann können irgendwann keine Leistungen 
		mehr per Netz getauscht werden. Die Leichtigkeit, Schnelligkeit und 
		Ortsunabhängigkeit des Dienstleistungs- und Warenverkehr bleiben schnell 
		auf der Strecke, wenn sie mit Beliebigkeit und Unverantwortlichkeit 
		verbunden werden. 
		 Die 
		Gefahren des Missbrauchs von Datenschatten lassen sich nicht bestreiten. 
		Der Verzicht auf Kontrolle und auf gespeicherte Daten verhindert 
		hingegen die Verlässlichkeit des Rechtsstaates. Wir brauchen ein 
		ausgewogenes System, das Überwachung zulässt und die Überwacher effektiv 
		überwacht. 
		 15.07.2010: Beckers Replik ist äußerst freundlich ausgefallen: 
  Matthias Becker, "Eine grundsätzliche Kritik am 
		Entstehen und an der Auswertung der Datenschatten", Blog 14.07.2010 
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