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leichte, mittlere und schwere Kriminalität | ||
leichte, mittlere und schwere Kriminalität | ||
Kombination aus zwei Bidern: dorsetforyou.com und poster.net |
Gesetzliche Definitionen und Vorgaben
Klarstellung vom BVerfG ungeklärt: "schwere" Kriminalität |
Viele Diskussionen über die Erscheinungsformen von Kriminalität werden zwar mit diesen Schlagworten gefüllt, ohne dass immer erkennbar ist, was damit wirklich gemeint ist. Von Bedeutung ist auf jedem Fall, welche Strafe das Gesetz im Mindest-
oder Höchstmaß androht. "Aller"schwerste Straftaten sind sicherlich die,
die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind. |
Straftatenkataloge für schwere Grundrechtseingriffe | ||
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Gesetzliche Definitionen und Vorgaben | ||
Das gilt zunächst bei seiner Unterscheidung zwischen Vergehen und Verbrechen, wobei die schwerer wiegenden Verbrechen dadurch bestimmt sind, dass sie im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr Dauer bedroht sind ( § 12 StGB). Die Zuordnung ist nicht immer einfach. Dem schweren Bandendiebstahl als selbständiges Verbrechen widmet das Gesetz einen eigenen Paragraphen ( § 244a StGB), dem schweren ( § 232 Abs. 3 StGB) und dem besonders schweren Menschenhandel ( § 232 Abs. 4 StGB) hingegen nicht, obwohl auch sie selbständige Verbrechenstatbestände sind. Darin unterscheiden sie sich von den Regelbeispielen für besonders und minder schwere Fälle, die nur Strafmaßregeln darstellen, ohne etwa Einfluss auf die Strafverfolgungsverjährung zu nehmen. Die Straftatenkataloge beziehen jedoch nicht jedes Verbrechen ein.
Der Meineid taucht in ihnen zum Beispiel nirgends auf (
§ 154 StGB). Vergehen und das vor Allem in ihren besonders schweren
Fällen schon. |
Das Amtsgericht hat eine Strafgewalt, die bis zu vier Jahren Freiheitsstrafe reicht ( § 24 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG), wenn das Schöffengericht mit zwei Laienrichtern und einem Berufsrichter entscheidet. Die Strafgewalt des Strafrichters (als Einzelrichter) wird von § 25 GVG auf Vergehen beschränkt, die keine höhere Strafe als zwei Jahre Freiheitsstrafe erwarten lassen. |
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Jugendlichen Straftäter droht § 18 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz - JGG - mit einer Jugendstrafe von 5 Jahren im Höchstmaß. Wegen Straftaten jedoch, die nach dem allgemeinen Strafrecht mit mehr als 10 Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, erhöht sich auch die Jugendstrafe auf bis zu 10 Jahre. Unabhängig von den üblichen Haftgründen (Flüchtigkeit, Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr, § 112 Abs. 2 StPO) darf die Untersuchungshaft auch bei besonders schweren Verbrechen angeordnet angeordnet werden. § 112 Abs. 3 StPO nennt dazu abschließend den Völkermord ( § 6 Abs. 1 Nr. 1 Völkerstrafgesetzbuch - VStGB), die Bildung von terroristischen Vereinigungen im In- und Ausland ( §§ 129a, 129b StGB), Mord und Totschlag ( §§ 211, 212 StGB), die schwere Körperverletzung ( § 226 StGB), die besonders schwere Brandstiftung, wenn sie todesgefährlich ist, und die Brandstiftung mit Todesfolge ( §§ 306b, 306c StGB) sowie das vorsätzliche Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion ( § 308 Abs. 1 bis 3 StGB). |
Versammelt sind in diesem Straftatenkatalog gemeingefährliche Verbrechen, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind (Völkermord, Mord), mit Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren Dauer (Brandstiftung mit Todesfolge) und Verbrechen mit geringerer Strafdrohung. Auffällig ist die schwere Körperverletzung, die "nur" mit Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren bedroht ist. Unter der besonderen Voraussetzung der Wiederholungsgefahr formuliert § 112a StPO einen Straftatenkatalog, der verschiedene Verbrechen und Vergehen benennt, die für die Öffentlichkeit als besonders gefährlich und verunsichernd gelten, z.B. auch der Betrug ( § 263 StGB). In umgekehrter Weise schränkt § 113 StPO die Untersuchungshaft aus (oder im Hinblick auf die Fluchtgefahr ein), wenn die Tat nur mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bedroht ist. |
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Zwischenergebnis:
Die
Einschränkungen des § 113 StPO (Höchstmaß der Strafe = 6 Monate
Freiheitsstrafe = 180 Tagessätze Geldstrafe) und die kurze Dauer der
Strafverfolgungsverjährung bei Straftaten, die mit höchstens einem Jahr
Freiheitsstrafe bedroht sind (
§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB), kennzeichnen sicherlich die leichte
Kriminalität. Dagegen befördert die Drohung mit lebenslanger
Freiheitsstrafe die betreffenden Straftaten zweifellos zur schwersten
Kriminalität. |
Das Mindestmaß der Strafe für Verbrechen (ein Jahr Freiheitsstrafe) siedelt diese Straftaten ganz sicher in den gehobenen Bereich der mittleren und in die schwere Kriminalität an. Eine sichere Zuordnung ist das hingegen nicht, weil der Gesetzgeber in einzelnen Straftatenkatalogen auch Vergehen eine Bedeutung beigelegt hat, die schwere Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche ermöglicht. |
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Klarstellung vom Bundesverfassungsgericht | ||
Zunächst stellt es fest, dass sich die besonders schweren Straftaten deutlich von der mittleren Kriminalität absetzen müssen (ebenda Rn 229) und versucht eine inhaltliche Abgrenzung anhand der betroffenen Rechtsgüter (ebenda Rn 335): Ein Anhaltspunkt für die Schwere sind die Folgen der Tat für betroffene Rechtsgüter. Bei bestimmten Straftaten - wie Mord und Totschlag - ist die hinreichende Schwere auch im Einzelfall schon durch das verletzte Rechtsgut indiziert, bei anderen bedarf sie der eigenständigen Feststellung. Die besondere Schwere der Tat im Einzelfall kann insbesondere durch die faktische Verzahnung mit anderen Katalogstraftaten oder durch das Zusammenwirken mit anderen Straftätern begründet werden. |
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Im Anschluss daran gelangt das BVerfG zu einem genialen, weil einfachem Ergebnis: Besonders schwere Kriminalität sind solche Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren Dauer bedroht sind (ebenda Rn 238), also grundsätzlich alle Verbrechen: |
Von der besonderen Schwere einer Straftat im Sinne des Art. 13 Abs. 3 GG ist nur auszugehen, wenn sie der Gesetzgeber jedenfalls mit einer höheren Höchststrafe als fünf Jahre Freiheitsstrafe bewehrt hat. Nach der gesetzlichen Systematik wird in Tatbeständen mit einem fünf Jahre übersteigenden oberen Strafmaß sogleich eine Höchststrafe von zehn Jahren Freiheitsentzug oder mehr normiert. Sie ist denjenigen Delikten vorbehalten, die ein besonders schweres Tatunrecht aufweisen und damit den Bereich der mittleren Kriminalität eindeutig verlassen. |
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Darüber hinaus zählt das BVerfG alle besonders schweren Fälle zu den besonders schweren Straftaten, wenn zwar nicht das Grunddelikt, aber der Qualifikationstatbestand mit einer höheren Strafe als 5 Jahre Freiheitsstrafe droht (ebenda Rn 241): |
Keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken ist der Verweis auf solche
Qualifikationstatbestände ausgesetzt, die eine höhere Höchststrafe als
fünf Jahre unter spezifischen, in einem Qualifikationstatbestand
zumindest mit einem Regelbeispiel näher umschriebenen tatbestandlichen
Voraussetzungen vorsehen, wie etwa
§ 261 Abs. 4 StGB oder
§ 51 Abs. 2 WaffG. |
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ungeklärt: "schwere" Kriminalität | ||
Zur Lösung bietet das Gesetz zwei Wege: 1. Wenn dem Landgericht als erstinstanzliches Tatgericht die schwere Kriminalität vorbehalten bleiben soll, so kennzeichnet die auf vier Jahre Freiheitsstrafe eingeschränkte Strafgewalt des Schöffengerichts die obere Grenze der mittleren Kriminalität. Bei einer höheren Straferwartung handelt es sich also um schwere Kriminalität. Dem Strafrichter soll die einfache Kriminalität vorbehalten bleiben.
Seine prognostische Strafgewalt ist auf zwei Jahre Freiheitsstrafe
beschränkt und darf von ihm dann bis zu vier Jahren Freiheitsstrafe
überschritten werden, wenn nach der Zulassung der Anklage zur
Hauptverhandlung Umstände zutage treten, die eine höhere Strafe
erforderlichen machen. Die oberste Grenze für die leichte Kriminalität
sind somit die Erwartung von höchstens zwei Jahre Freiheitsstrafe. |
Straftaten mit einer angedrohten Höchststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe gehören deshalb sicher zur leichten Kriminalität und die der Nr. 4 zur mittleren. |
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ungeklärt: Gesamtstrafenbildung | ||
Die Gesamtstrafe ist eine Besonderheit im deutschen Strafrecht, die andere Rechtsordnungen nicht kennen und extremer lösen. Aus den USA ist die Kumulation von Strafen bekannt. Dabei werden für alle Straftaten Einzelstrafen gebildet und nacheinander vollstreckt. Das andere Extrem ist die Einheitsstrafe, die auch im Jugendstrafrecht praktiziert wird ( § 31 Abs. 1 JGG); es wird dabei eine Art pädogogisch sinnvolles "Paket" gebildet. Die Grundlage der Gesamtstrafe sind die Einzelstrafen, auf die das Gericht wegen jeder einzelnen Straftat erkennt. Die höchste Einzelstrafe bildet die Grundlage für die Gesamtstrafe. Sie wird "angemessen" aufgrund der weiteren Einzelstrafen erhöht. Die alte Rechtsprechung des BGH verlangte als Richtschnur, dass jede Einzelstrafe mit ihrer Hälfte Bestandteil der Gesamtstrafe wird. Aus zwei Einzelstrafen von zwei und einem Jahr Freiheitsstrafe werden deshalb einfach: |
+ 1/2 Jahr (Hälfte aus der zweiten Einzelstrafe) = 2 Jahre 6 Monate Gesamtfreiheitsstrafe Anerkannt ist, dass gleichartige Straftaten einen geringeren "Aufschlag" auslösen und verschiedenartige einen höheren. Um in dem Beispiel zu bleiben, dürfen die Verurteilungen wegen Betruges zu 2 Jahren Freiheitsstrafe und wegen Straßenverkehrsgefährdung zu 1 Jahr Freiheitsstrafe zwar nicht die Summe von 3 Jahren erreichen, wohl aber wegen ihrer Verschiedenartigkeit 2 Jahre und 11 Monate. Umgekehrt darf die Gesamtfreiheitsstrafe auf das Mindestmaß von 2 Jahre 1 Monat verringert werden, wenn beide Straftaten von gleicher Art waren ( § 39 StGB). Nach der jüngeren Rechtsprechung ist jede Gesamtstrafenbildung eingehend zu begründen, worauf die tatrichterlichen Urteile die Tendenz zu einer milden Gesamtstrafenbildung zeigen.
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Über die Gesamtstrafenbildung können Serientaten aus dem Bereich der mittleren und sogar der leichten Kriminalität zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren führen. Die Frage ist deshalb, ob Serientaten, die eine Straferwartung von mehr als fünf Jahre Freiheitsstrafe begründen, der schweren Kriminalität zuzuordnen sind. Für den Einsatz von Vertrauenspersonen ist anerkannt, dass Straftaten
aus dem Bereich der mittleren Kriminalität jedenfalls dann den Einsatz
rechtfertigen, wenn sie in ihrer "Gesamtschau" eine besondere
Gefährlichkeit oder Beeinträchtigung der Öffentlichkeit bedeuten. |
Dieser Ansatz scheint
mir auch vernünftig zu sein. Er führt dazu, dass die leichte
Kriminalität niemals zur besonders schweren werden kann, auch wenn sie
serienmäßig erfolgt. Die mittlere Kriminalität kann hingegen wegen ihrer
gesteigerten Gefährlichkeit zur schweren Kriminalität erwachsen, wenn
sie systematisch und wiederholt ausgeführt wird. Das ist eine ganz
ähnliche Situation wie bei den vom BVerfG gebilligten
Qualifikationstatbeständen und findet seinen Rückhalt auch in dem Willen
des Gesetzgebers, dass auch die unbefristete Sicherungsverwahrung bei
schweren wirtschaftlichen Schäden angeordnet werden kann, wobei die
Gesamtheit der Straftaten betrachtet werden muss (
§ 66 StGB). |
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Fazit: Gruppenbildung | ||
Leichte Kriminalität ist im Anschluss an die kurze Verjährungsfrist in § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB jede Straftat, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist und die auch im Wege der Gesamtstrafenbildung die (prognostische) Strafgewalt des Strafrichters nicht überschreitet (zwei Jahre Freiheitsstrafe).
Die
mittlere Kriminalität umfasst alle übrigen Vergehen, wenn sie nicht
jedenfalls wegen ihrer Qualifizierungstatbestände zur besonders schweren
Kriminalität zählen (Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren Dauer)
oder wegen der Gesamtstrafenbildung nach der Strafgewalt des
Landgerichts verlangen (Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren). |
Besonders schwere Kriminalität ist die, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als 5 Jahren Dauer bedroht ist. Ich bin der Meinung, dass im Zusammenhang mit Serientaten aus der mittleren Kriminalität jedenfalls die Delikte zu den besonders schweren Straftaten gehören, die bei der Gesamtstrafenbildung eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren erwarten lassen. Insoweit werde ich die Rechtsprechung weiter beobachten. |
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© Dieter Kochheim, 11.03.2018 |