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Ermittlungen
29.11.2009 Ermittlungen
     
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift Geltung von Beweisen und Erfahrungen
    und kriminalistische Erfahrungen beim Skimming
 
 

 
Das Tatbestandsmerkmal "bestimmte Tatsachen" in § 100a Satz 2 StPO erfordert, dass die Verdachtsgründe über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen müssen. Bloßes Gerede, nicht überprüfte Gerüchte und Vermutungen reichen nicht. Erforderlich ist, dass auf Grund der Lebenserfahrung oder der kriminalistischen Erfahrung fallbezogen aus Zeugenaussagen, Observationen oder anderen sachlichen Beweisanzeichen auf die Eigenschaft als Nachrichtenmittler geschlossen werden kann.  (1)
 
 

Die Themen Beweise und Verdacht werden im Cyberfahnder immer wieder aufgegriffen, weil sie von zentraler Bedeutung für die Ermittlungsarbeit und das Strafverfahren sind.

In diesem Beitrag geht es um den Aussagewert von Beweisen, den ich als Geltung bezeichne, und den Erfahrungen, mit denen sie gewürdigt werden. Aus den zunächst entwickelten Grundsätzen zur Beweiswürdigung werden schließlich Erfahrungssätze im Zusammenhang mit dem Skimming entwickelt.

Die Grundlagen für die Beurteilung des Verdachts sind Tatsachen. Sie bedürfen einer fachkundigen Bewertung, in die einerseits die Glaubwürdigkeit der Quelle ebenso einfließt wie die Glaubhaftigkeit der Tatsache selber und andererseits das Allgemein- und Fachwissen des Beurteilers.

Kriminalistische Erfahrungen sind solche, die die Fachleute in der Strafverfolgung anhand vergleichbarer Situationen, des Täterverhaltens, der Interaktion von Personen und des Fachwissens aus Einzelfällen gewonnen haben. Je nach ihrem Erfahrungshorizont kann es aus tiefem technischen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und psychologischen Wissen bestehen, das aus einer Mischung aus Alltagserfahrungen, professioneller Sensibilität und fachmännischer Beratung entstanden ist.

Kriminalistisches Wissen ersetzt kein handwerkliches oder akademisches Spezialwissen, wohl aber das Grundlagenwissen, das in sich wiederholenden Fällen immer wieder zugrunde liegt.
 

Geltung
Geltung und Wechselwirkungen
Kategorisierung des Geltungsgrades
Erfahrungswerte wegen des Skimmings
erste kriminalistische Erfahrungen
erstes Fazit

Bewertung von Beweisen und Erfahrungssätzen

Dazu gehören die normalen Naturgesetze ebenso wie die Wahrnehmungen im Alltagsleben, die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit wegen ihrer Ursachen aufdrängen. Das können die individuellen Wirkungen bei Trunkenheit, Solidarisierungseffekte bei Menschengruppen, chemische und physikalische Prozesse im Zusammenhang mit Umweltdelikten oder Brandsachen ebenso sein wie die schlichte Alltagserfahrung, ob der Fahrer nach einer Karambolage, bei der der Kotflügel seines Autos völlig versemmelt wurde, den Unfall bemerkt haben muss oder nicht.

Kriminalistische Erfahrungen und gerichtliches Wissen ersetzen die sachverständige Klärung von Standardfragen, die immer wieder auftauchen, längst geklärt sind und einen gewissen Grad an Langweiligkeit haben. Sie müssen nicht immer wieder neu entdeckt, sondern nur dann thematisiert werden, wenn es neue, eben noch nicht geklärte Aspekte und Besonderheiten gibt.

Sie stellen jedoch an die kriminalistisch gebildeten Fachleute die Anforderung, ihre Messlatte kritisch zu hinterfragen und zu überprüfen. Kriminalistische Erfahrungen dürfen nicht zu platten und unumstößlichen Vorurteilen werden.
 

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Stufen der Verdachtsprüfung
1 tatsächliche Anhaltspunkte
Fakten, Fakten, Fakten
2 Inhalt ihrer Aussage
wortgetreue und grammatische Beschreibung der Anhaltspunkte
3 Geltungssicherheit, Absicherung
Wiederholbarkeit, Häufigkeit, Seltenheit;
Bewertung der Anhaltspunkte selber
4 Zusammenwirken
Schlussfolgerungen aus der Summe der Anhaltspunkte
5 Geltungssicherheit, Absicherung
Bewertung des Zusammenwirkens der Fakten

aus Verdacht

 
Die Bewertung von einzelnen Tatsachen orientiert sich zunächst an ihrem individuellen Aussagewert.

So sagen Funkzellendaten zunächst nichts anderes aus, als dass sich die SIM-Karte mit der betreffenden Anschlusskennung zu einem bestimmten Zeitpunkt irgendwo in dieser Funkzelle befunden hat. Sie sagen nichts darüber aus, wer das Mobiltelefon getragen hat, und lassen offen, ob es die Anschlusskennung noch ein weiteres Mal gibt.

Die Frage nach der mehrfachen Anschlusskennung lässt sich verhältnismäßig einfach klären. Die IMSI ist einmalig und wenn sie mehrfach vorkommen sollte (es gibt selten mehrere Karten, die gleichzeitig angesprochen werden), dann lassen sich die weiteren Umstände recht einfach klären.

Komplizierter ist die Frage danach, wer das betreffende Handy getragen hat. Hat derselbe Mensch das Telefon erfahrungsgemäß immer selber genutzt, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass es im entscheidenden Fall ein Anderer war. Dasselbe gilt, wenn im Zusammenhang mit gleichartigen Straftaten immer wieder dieselbe Anschluss- oder Zielnummer auftaucht. Das rechtfertigt die Annahme, dass dieselben Personen auftreten, die jedoch ständig kritisch überprüft werden muss.

Die grundsätzlich offene Frage danach, wer mit Funkzellendaten in Verbindung gebracht werden kann, lässt sich also nur bei der Betrachtung der Rahmenbedingungen klären - oder auch nicht.
 


Ich habe mir angewöhnt, die Frage nach der Aussagebedeutung von Tatsachen als Geltung zu bezeichnen.

Damit gibt es eine Geltung, die der Tatsache selbst innewohnt, und eine höhere Geltung, die sie im Zusammenspiel mit anderen Tatsachen erlangt, die sie bestätigen. Umgekehrt können diese anderen Tatsachen ihre Geltung auch wieder entkräften.

Der Sinn dieser Betrachtung ist ein ganz einfacher: Die Suche nach der "Wahrheit" ist ein Prozess, der zunächst nach Fakten fragt, die wegen ihrer Aussage im Einzelnen und dann in der Gesamtschau bewertet werden müssen. Die Erkennung einer "absoluten Wahrheit" ist nur bei ganz einfachen Sachverhalten möglich. Der Vorgang,  "Apfel fällt vom Baum", ist die Wirkung eines Naturgesetzes. Der nähere Grund dafür - Reife, Wurmstichigkeit oder äußere Beeinflussung - ist eine Frage, die anhand weiterer Tatsachen geklärt werden muss. Wenn die Zeit der Apfelernte ist und auch andere Äpfel vom Baum fallen, zudem der betrachtete Apfel keine äußeren Verletzungen und im Innern keine Würmer hat, dann dürfte seine Reife als Grund für seine Lösung vom Baum feststehen.

  Alle weniger einfachen Sachverhalte verlangen danach, dass alternative Ursachen nach Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten ausgeschlossen werden. Der deus ex machina der griechischen Tragödie, esoterische Fernwirkungen oder geisterhafte Protagonisten haben dabei keinen Platz.
 

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Für die Feststellung von inneren Tatsachen genügt nämlich, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, an dem vernünftige Zweifel nicht aufkommen können. Außer Betracht zu bleiben haben solche Zweifel, die keinen realen Anknüpfungspunkt haben, sondern sich auf die Annahme einer bloß abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen ... (2)
 
 
Kann der Tatrichter die erforderliche Gewißheit nicht gewinnen und zieht er die hiernach gebotene Konsequenz ..., so hat das Revisionsgericht dies zwar regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich auch nicht allein dadurch etwas, daß eine vom Tatrichter getroffene Feststellung 'lebensfremd erscheinen' ... mag (...). Es gibt nämlich im Strafprozeß keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf Gewißheit, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht (...). Eine Beweiswürdigung ist demgegenüber etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr. ...). Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlußfolgerung nicht gezogen ist, ohne daß konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können ... (3)
 


Der Beweiswert, also mit meinen Worten die Geltung von Beweisen, wird in der Rechtsprechung vielfach angesprochen. Mehrere Beispiele zeigen die Probleme im Einzelfall.

Der Beweisführung mit dem genetischen Fingerabdruck liegt eine statistische Methode zugrunde mit der Aussage, dass die gleichen biochemischen Eigenschaften einer Probe mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit bei verschiedenen Menschen desselben Geschlechts auftreten. Im Frühstadium der forensischen Verwertung der DNA-Analyse bewegte sich die statistische Genauigkeit in einem Bereich von 1 : 10.000. Das bedeutete, dass in einem großstädtischen Umfeld Hundert oder mehr Personen desselben Geschlechts über dieselben DNA-Merkmale verfügen konnten. Erst nachdem die biochemischen und statistischen Methoden verfeinert und verbessert wurden und die Wahrscheinlichkeitsaussagen im Bereich von 1 : 1 Mio. (und größer) liegen, erkennt der BGH die DNA-Spur als Vollbeweis an (4) - nicht ohne zu mahnen, dass das Gericht den Zusammenhang zwischen der Spur und der Tat genau betrachten muss.

Das Beispiel zeigt, wie sich die Geltung von Beweisen durch die Verbesserung der Kriminaltechnik verbessern kann.

1995 hat das BVerfG im Anschluss an seine ständige Rechtsprechung über den Zeugen vom Hörensagen ausgeführt, dass seine Bekundungen besonders sorgfältig zu prüfen und dann nicht zur Verurteilung geeignet sind, wenn sie nicht durch weitere Beweise und Spuren bestätigt werden (5).
 

 
Dahinter steckt derselbe Grundgedanke. Die zum Zeugenbeweis entwickelten Grundsätze zur persönlichen Glaubwürdigkeit einer Auskunftsperson und zur inhaltlichen Glaubhaftigkeit (siehe oben) lassen sich nur auf die Auskunftsperson selber anwenden. Der Zeuge vom Hörensagen berichtet zwar auch über seine Wahrnehmungen, also über das, was ihm gesagt worden ist, hat jedoch keine Wahrnehmungen vom Grundgeschehen selber. Das ihm Gesagte kann ebenso gut gelogen und übertrieben sein. Die Geltung des Gesagten ist umso geringer, je weniger sich das Gericht und die anderen Gerichtspersonen einen Eindruck von der Person verschaffen können, die vom Grundgeschehen aus eigener Wahrnehmung berichtet haben soll.

Der BGH hat deshalb zurecht zur Vorsicht gemahnt, wenn es um "gehörtes Hörensagen" geht. Die dadurch gewonnenen Kenntnisse sind der Beweisführung nicht völlig entzogen, müssen jedoch besonders kritisch gewürdigt und beim leisen Zweifel verworfen werden (6).

Bei den Opfern von Posttraumatischen Belastungsstörungen können sich ihre Erinnerungsbilder verzerren, so dass sie nicht in der Lage sind, die räumliche und zeitliche Abfolge ihrer Erinnerungen zu differenzieren. Dafür tragen sie keine Schuld, sondern ihre Krankheit ist dafür verantwortlich. Die Würdigung ihrer Aussagen kann nur mit Bedacht und unter Abgleich mit anderen Spuren und Fakten mit der für eine Verurteilung gebotenen Sicherheit erfolgen (7). Hinzu kommt, dass PTB-Opfer nicht allein deshalb die besseren Menschen sind: Sie können auch lügen.
 

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  Geltungsgrad für Erfahrungswerte
5 sichere Erkenntnis, für die keine Ausnahmen bekannt oder denkbar sind
4 sichere Erkenntnis, für die Ausnahmen bekannt oder denkbar sind
3 Erfahrung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
2 Erfahrung, die aus verschiedenen Einzelfällen gewonnen wurde
1 Erfahrung aus einem Einzelfall
0 ohne Bedeutung
 

 
Die Bewertung der Geltung von Erfahrungssätzen und von Beweisen beruht auf Erfahrungswissen und entzieht sich einer strengen, quasi naturwissenschaftlichen Skalierung. Mit gehörigen Vorbehalten lassen sich grobe Kriterien als Qualitätsmaßstab und Stufung entwickeln.

Die hier vorgestellte Skalierung soll Anhaltspunkte für die Qualität von Beweismitteln und Erfahrungen liefern. Ihre Eignung muss sie erst noch beweisen.

Ich gehe von einer fünfstufigen Skala aus, deren höchste Stufe mit der Ziffer 5 einer naturgesetzlichen Gewissheit gleicht.

Die Geltung mit der Stufe 4 ist ebenfalls eine gesicherte Erkenntnis, für die jedoch entweder Ausnahmen bekannt oder jedenfalls denkbar sind. Sie muss im Hinblick auf ihre Ausnahmen geprüft werden, wobei ein Maßstab zu verlangen ist, der sich nicht mit allen Verästelungen befassen muss. Ein Beispiel dafür ist die Beweisführung mit DNA-Merkmalen nach Maßgabe der jüngsten Rechtsprechung (8)

Die Stufe 3 kennzeichnet eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Sie verlangt nach einer genauen Betrachtung der Umstände im Einzelfall und nach einer Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser Umstände.
 

 
Für die gerichtliche Überzeugungsbildung ist anerkannt, dass es solche Feststellungen treffen darf, die keinen vernünftigen Zweifeln unterliegen (siehe oben). In ständiger Rechtsprechung sind dazu Grundsätze entwickelt worden, die der BGH 2004 erneut zusammen gefasst hat (9). Diese Art der Auseinandersetzung ist die, die ich in Bezug auf die Stufen 3 und 4 meine, wobei mit dem BGH schließlich auch keine überzogenen Anforderungen an die Gewissheit gestellt werden dürfen.

Untermauerte Erfahrungswerte sehe ich in der Stufe 2 angesiedelt. Sie verlangen immer nach einer Bestätigung im Einzelfall, also nach begleitenden Beweisen, die sich gegenseitig bestätigen und keine Widersprüche zueinander aufweisen.

Der Wert solcher Erfahrungswerte ist vergleichbar dem, der für die Aussagen eines Zeugen vom Hörensagen gilt.

Einfache Erfahrungswerte, die ich in der Stufe 1 ansiedele, können nur eine bestätigende Bedeutung haben oder als Hilfsargument verwendet werden. Sie haben eine nur schwache Bedeutung.

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[1] Das Ziel des Skimmings ist der Missbrauch von Zahlungskarten, um Beute zu machen.

 
[2] Aus der Tatsache, dass das Cashing mit Dubletten im Ausland erfolgreich war, lassen sich mehrere zweifelsfreie Schlüsse ziehen:

[2.1] Es liegt eine Debitkarte zugrunde, die am Point of Sale-Verfahren teilnimmt.

[2.2.1] Die Transaktion hat das Autorisierungsverfahren erfolgreich durchlaufen. [2.2.2] Dem Geldautomaten ist der Genehmigungscode übermittelt worden.

[2.3] Die Genehmigung im Rahmen der Autorisierung ist der Kern der Garantiefunktion, die der Ursprungskarte inne wohnt.

[2.4] Es wurde eine gefälschte Zahlungskarte mit Garantiefunktion genutzt.

 

 
Im Zusammenhang mit meinem Arbeitspapier Skimming und der erklärenden Zwischenbilanz Skimming habe ich mehrere Erfahrungssätze entwickelt, die anhand der Geltungsskala betrachtet werden sollen, um ihre Tauglichkeit zu testen.

Die Aussage links oben [1] ist der Zwischenbilanz vorangestellt und hat einen programmatischen Charakter. Sie lässt sich jedoch nicht auf jeden am Skimming beteiligten Täter übertragen, weil es auch solche geben mag, deren Ziel es ist, die ausgespähten Daten als solche zu verkaufen. Ihnen ist dabei jedoch klar, dass der Käufer nur dann bereit ist, Geld für die Daten auszugeben, wenn er mit ihnen seinerseits Profit machen kann.

Die ausgespähten Daten haben keinen Sammlerwert. Werthaltig sind sie nur, wenn sie am Ende missbraucht werden. Das ist auch dem Täter klar, der sich auf das Ausspähen und den Verkauf der ausgespähten Daten beschränken will.

Die Aussage ist somit eine der Stufe 4, soweit es um das generelle Ziel des Ausspähens geht. Wegen der eigenen Motivation des Täters gebührt ihr die Stufe 3. Es ist möglich, dass weder er noch seine Mittäter beabsichtigen, die ausgespähten Daten selber zu missbrauchen. Ich verfüge jedoch über keine Erfahrungswerte, dass Skimmingdaten tatsächlich ausschließlich zu dem Zweck ausgespäht wurden, um sie "nur" zu verkaufen. Das ist beim Phishing anders.
 

 
Die Aussagen zu [2] haben vier Unterpunkte und die einleitende Bewertung, sie seien "zweifelsfreie Schlüsse", ist fragwürdig. "Zweifelsfrei" klingt nach einer naturgesetzlichen Gewissheit und die kann keine der Aussagen für sich in Anspruch nehmen. Alle Aussagen zu [2] lassen die Kreditkarten außer Betracht, die allein deshalb eine Garantiefunktion haben, weil die ausstellende Bank selber für die Verfügung bürgt, ohne bereits mit der Ausgabe der Karte die Auszahlung nach Maßgabe der Kontodeckung, des Überziehungskredits oder besonderer Bedingungen (Tageslimit, Wochenlimit, keine Verfügungen im Ausland) Einschränkungen zu signalisieren. Solche besonderen Bedingungen kennen jedoch auch Kreditkarten.

Mit der Einschränkung, dass sich die Aussagen eigentlich nur auf Debitkarten beziehen, ergibt sich ein anderes Bild:

[2.1], [2.2.1] und [2.2.2] sind Binsenweisheiten der Kategorie 4. Sie stehen unter dem Vorbehalt, dass die Autorisierung ISO-konform durchgeführt wurde. Eine Abweichung von der ISO-Norm ließe jedoch erwarten, dass die Auszahlung gescheitert wäre. Keine am bargeldlosen Zahlungsverkehr beteiligte Bank will einfach nur Geld verteilen und das schon gar nicht aus eigenem Vermögen. Sie will auch nicht blindlings haften, so dass schon gravierende Hinweise bestehen müssen, um die ISO-konforme Abwicklung zu bezweifeln.
 

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[2.3] ist mehr eine rechtliche als eine tatsächliche Aussage. Ihr tatsächlicher Kern, die Ursprungskarte, deren Daten ausgespäht wurden, verfüge über eine Garantiefunktion, ist hingegen auch in der Stufe 4 angesiedelt. Das ist der finanzwirtschaftlichen Logik geschuldet, dass kein Institut, das Geldautomaten betreibt, Bargeld ohne Profit an jedermann verteilen will, ohne die Valuta und die Gebühr erstattet zu bekommen.

[2.4] ist die Konsequenz aus den vorangegangenen Aussagen und gilt ebenfalls nach Maßgabe der Stufe 4.
 

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[3.1] Skimmer haben in der kriminellen Organisation eine besonders vertrauensvolle Rolle. [3.2] Die eingesetzten Geräte sind wertvoll, sollen weiter verwendet und müssen pfleglich behandelt werden.
 
[4] Vor dem Skimming müssen die Örtlichkeiten und die geeigneten Geldautomaten ausbaldowert werden.

[5] Die Installation der Ausspähgeräte erfordert Erfahrung, handwerkliches Geschick und die Anpassung der Geräte an die örtlichen Begebenheiten.

[6.1] Skimmer arbeiten bei der Installation arbeitsteilig. [6.2] Es gibt Fachleute für die Einrichtung des Kartenlesegeräts und andere für die Ausspähtechnik im Übrigen (Tastaturaufsatz, Kamera). [6.3] Neulinge werden nur beteiligt, um sie unter Anleitung erfahrener Installateure anzulernen.

 


 
Im Zusammenhang mit dem Ausspähen von Kartendaten und PIN gibt es bereits erste Erfahrungswerte, die als kriminalistische Erfahrungen genutzt werden können.

[3] Die Kamerabilder von Cashingaktionen und die Daten, die darüber bekannt sind, belegen, dass das Cashing in aller Regel von mehreren Tätern gleichzeitig durchgeführt wird. Es gibt jedoch Einzelfälle, in denen offenbar Einzeltäter tätig wurden.

Für die Installation der Skimminggeräte gibt es keine Erfahrung, die das Handeln von Einzeltätern belegt. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie gruppenweise und arbeitsteilig vorgehen.

[3.1] steht unter dem gemachten Vorbehalt. Wenn die Täter in eine kriminelle Organisation eingebunden sind, dann haben sie tatsächlich eine besonders vertrauensvolle Rolle. Nicht nur die Geräte sind wertvoll [3.2], sondern von der Qualität der ausgespähten Daten hängt auch der Erfolg aller weiteren Arbeitsschritte ab.

Die Aussagen zu [3] sind der Stufe 3 zuzuordnen.

Dasselbe gilt für [4]. Die verwendeten Geräte sind für bestimmte Baureihen von Geldautomaten optimiert. Das gilt besonders für die Kartenlesegeräte und Tastaturaufsätze. Beim Einsatz von Kameras muss die örtliche Umgebung passen.
 


Spontane Skimming-Angriffe lassen sich erfahrungsgemäß nicht ausschließen, sind jedoch unwahrscheinlich. Die Aussage ist deshalb der Stufe 3 zuzuordnen.

[5] ist durch Kamerabilder und Observationen belegt - Stufe 3.

[6.1] ist ebenfalls durch Kamerabilder und Observationen belegt - Stufe 3.

[6.2]: Fachleute für die einzelnen eingesetzten Geräte gibt es ausweislich von Kamerabildern und Aussagen. Insoweit greift die Stufe 3.

Die Erfahrungen reichen aber nicht dazu aus, die Aussage zu treffen, dass Skimmer immer mit demselben Gerät hantieren. Insoweit greift die Stufe 2.

Dasselbe gilt für [6.3]. Die Aussage ist eine logische Konsequenz aus [5], aber nur unzureichend durch Erfahrungen belegt. Auch insoweit greift die Stufe 2.

zurück zum Verweis erstes Fazit
   
[7] Je nach der Art des Angriffs müssen - jedenfalls beim Kartenlesegerät - Marker für die Synchronisation der ausgespähten Daten gesetzt werden.
 
[8] Skimmer beobachten den Tatort und kontrollieren zwischenzeitlich die Geräte (Funktionstüchtigkeit, Akkuladung).

[9] Skimmer benutzen am Tatort Mobiltelefone, um sich mit ihren Mittätern und Hinterleuten abzustimmen und den Beginn, Verlauf und Abschluss der Maßnahme zu melden.

 
Aus den Journalen der angegriffenen Geldautomaten ergeben sich nicht nur die allgemeinen Kundendaten der ausgespähten Personen, sondern häufig auch der Einsatz von Testkarten, die für den Funktionstest der Kartenlesegeräte verwendet werden. Testkarten werden häufig auch während des Angriffs eingesetzt, um Markierungen für die spätere Synchronisation von Kartendaten und PIN zu setzen. Die Aussage [7] gehört in die Stufe 3.

Für [8] gibt es Erfahrungswerte, aber nur wenige. Für diese Aussage gilt noch die Stufe 2.

Für [9] gibt es überraschender Weise viele Beobachtungen. Für die Aussage gilt die Stufe 3.
 


Die Bewertung der zum Skimming bereits gemachten Aussagen [1] [2] und der weiteren Erfahrungssätze anhand der hier entwickelten Geltungsskala lässt sich verhältnismäßig einfach durchführen. Sie verlangt jedoch nach einer vorsichtigen Zurückhaltung und kritischen Betrachtung der Erfahrungsbasis.

Der Vorteil der Bewertung ist der, dass alle Aussagen mit der Geltungsstufe 4 als kriminalistische Erfahrungen genutzt werden können, ohne sie kritisch hinterfragen oder mit weiteren Tatsachen anreichern zu müssen.

Das gilt für die Aussagen mit der Geltungsstufe 3 mit der Einschränkung, dass sie als kriminalistische Erfahrungen für die Begründung des Anfangsverdachts taugen, im weiteren Verlauf der Ermittlungen jedoch unterfüttert werden müssen.

Die Aussagen mit der Geltungsstufe 2 sind als kriminalistische Arbeitshypothesen geeignet, müssen jedoch mit weiteren Tatsachen angereichert werden, um sie als Argumente für Eingriffsmaßnahmen zu nutzen. Sie eignen sich vor Allem für die Bewertung von Beweisen (Journale und andere Aufzeichnungen).
  

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Eine schematische und sklavische Bewertung in der hier vorgeschlagenen Art birgt die Gefahr eines scheinobjektiven und pseudowissenschaftlichen Herangehens, weil sie ein subjektiver Vorgang ist und bleibt und besonders stark von dem Erfahrungs- und Wissenshorizont des Bewertenden abhängt.

Die Geltungsskala ist bewusst so grob gestrickt, dass sie zu den von der Rechtsprechung in Einzelfällen entwickelten Grundsätzen zur Beweiswürdigung passt. Sie dient zur kritischen Reflexion in der Ermittlungspraxis, wenn man sie auf allgemeine Aussagewerte beschränkt:

Erfahrungswerte mit naturgesetzlicher Ausschließlichkeit bedürfen keiner kritischen Hinterfragung. Sie sind Ausnahmen und dürfen keinen denklogischen Zweifeln unterliegen.

Je höher die Geltung ist, desto weniger muss die Erfahrungstatsache mit weiteren Tatsachen untermauert werden.

Je geringer die Geltung ist, desto mehr verlangt die Erfahrungstatsache der Untermauerung. Fehlt es daran, dann ist sie nur als Arbeitshypothese, nicht aber zur Begründung von Eingriffsmaßnahmen geeignet.
 

 
Alle in der Strafverfolgung tätigen Leute müssen sich mit dem Aussagewert und der Geltung von Tatsachen und Erfahrungssätzen auseinandersetzen. Nicht jeder kann alles wissen, so dass die Ermittler mit Fachwissen und die Sachverständigen, die ihr Spezialwissen in das Verfahren einbringen, einer besonderen Verantwortung unterliegen. Von ihnen ist zu verlangen, dass sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen besonders kritisch würdigen und hinterfragen.

Die Frage nach der Geltung von Tatsachen und Erfahrungssätzen kann bei der selbstkritischen und bei der Bewertung der Aussagen Anderer helfen. Die Skalierung kann hingegen die klassische Beweiswürdigung nicht ersetzen und ist nicht dazu geeignet, die gebotene Begründungstiefe genau zu bestimmen. Sie liefert dazu zwar Anhaltspunkte, ohne jedoch die Prüfung und Entscheidung im Einzelfall zu ersetzen.
 

 

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(1) BVerfG, Beschluss vom 30.04.2007 - 2 BvR 2151/06

(2) BGH, Urteil vom 15. 11. 2001 - 1 StR 185/01, Rn. 78

(3) BGH, Urteil vom 14.09.2004 - 1 StR 180/04

(4)  BGH, Beschluss vom 21.01.2009 - 1 StR 722/08

(5)  BVerfG, Beschluss vom 19.07.1995 - 2 BvR 1142/93, abgedruckt bei Jens Ph. Wilhelm, Entscheidungssammlung zum Strafverfahrensrecht, Stand Dezember 2003, S. 18, 19

(6) BGH, Urteil vom 07.02.2008 - 4 StR 502/07

(7) Zu den Anforderungen an ein "aussagepsychologisches Gutachten": BGH, Urteil vom 30.07.1999 - 1 StR 618/98

(8) oben und (4)

(9) (3). Siehe auch Merkblatt Beweisrecht II (im Zivilrecht), veröffentlicht bei der Uni Potsdam.
 

 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018