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April 2009
25.04.2009 verdeckte Ermittlungen
     
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Bundesgerichtshof
Fazit
 
Leitsätze des EGMR
Leitsätze des BGH
 
  Anmerkungen
 

 
Der HRR-Newsletter (1) vom 23.04.2009 weist auf das Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 21.01.2009 hin (2), dessen wesentlichen Aussagen Karsten Gaede (3) für HRR in Leitsätze gefasst hat.

In dem Newsletter heißt es dazu:
Die Entscheidung konkretisiert zum einen die Reichweite des europarechtlichen Schutzes gegen „Hörfallen“. Zum anderen befasst sie sich mit dem seit langem auch im EGMR selbst streitigen Problem der Verwertung menschenrechtswidrig erlangter Beweismittel ... Die Entscheidung zeigt, dass auch im EGMR die Stimmen lauter werden, die ein Verwertungsverbot für menschenrechtswidrig erlangte Beweismittel befürworten. Im konkreten Fall bewirkt sie indes eine eher einschränkende Interpretation insbesondere des mit der Allan-Rechtsprechung ... verbundenen Verwertungsverbotes.

Das Urteil berührt den seltenen Fall, dass ein Verdeckter Ermittler, also ein unter einer Legende ( § 110c StPO) eingesetzter Mitarbeiter der Polizei, unmittelbar auf einen Beschuldigten angesetzt ist. Dieser Einsatz bedarf gemäß  § 110b Abs. 2 StPO einer gerichtlichen Zustimmung und ist nur zur Bekämpfung eines Teilbereiches der besonders schweren Kriminalität zulässig ( § 110a Abs. 1 StPO).
 

 
Hinzu kommt, dass der Verdeckte Ermittler mit einer Lauschvorrichtung ausgestattet ist, also mit einem Aufzeichnungs- oder Funkgerät, um das gesprochene Wort bei seinem Einsatz aufzeichnen oder mithören zu können. Der Einsatz solcher technischer Mittel erfolgt entweder in der Öffentlichkeit, dann ist für die strafprozessuale Verwertbarkeit § 100f StPO einschlägig ( kleiner Lauschangriff), oder in Wohnungen, so dass § 100c StPO greift ( großer Lauschangriff). 

Die Ausstattung mit Aufzeichnungstechnik kann aus Gründen der Eigensicherung (4) auch polizeirechtlich begründet werden. Für die dabei gewonnenen Erkenntnisse gilt § 161 Abs. 2 StPO und damit der Grundsatz der Schwellengleichheit, wonach aus anderen Verfahrensordnungen nur solche Beweismittel übernommen werden dürfen, deren Erhebung auch nach Maßgabe der StPO zulässig gewesen wäre.

Soweit Hörfallen angesprochen werden, geht es darum, dass eine Privatperson in Anwesenheit eines Polizeibeamten ein Gespräch mit dem Verdächtigen führt, dessen Inhalt gegen ihn verwendet werden soll. Die gefestigte Rechtsprechung (5) betrachtet Hörfallen dann als zulässig, wenn es um die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung geht und die Erforschung des Sachverhalts unter Einsatz anderer Ermittlungsmethoden erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert gewesen wäre.
 

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Im Gleichklang mit dem EGMR hat auch der BGH entschieden (6), dass der Verdeckte Ermittler keinen Druck auf den Verdächtigen ausüben darf ( Leitsatz 1). Ein Verstoß dagegen führt nach dem Grundsatz, dass sich niemand selbst einer Straftat bezichtigen muss ( §§ 136 Abs. 1 S. 2, 55 StPO), zu einem Verwertungsverbot.

Mit dem Leitsatz 3 geht der BGH auf eine revisionsrechtliche Besonderheit ein. Ein Urteil darf nur dann von ihm aufgehoben werden, wenn ein beanstandeter Rechtsfehler dazu führt, dass die angefochtene Entscheidung auf ihn beruht ( § 337 Abs. 1 StPO).

Danach kann das Verwertungsverbot wieder entfallen, wenn der Beschuldigte die Erkenntnisse des Verdeckten Ermittlers vor dem Haftrichter oder in der Beweisaufnahme selber wiederholt.
 


Der Einfluss der neuen Entscheidung des EGMR auf die Rechtsprechung deutscher Obergerichte ist nur schwer abzuschätzen, zumal auch der EGMR einschränkend ausführt: Der Gebrauch eines rechtswidrig unter Verletzung anderer Menschenrechte ... erlangten Beweismittels macht ein Verfahren nicht stets unfair ( Leitsatz 2.). Das gelte besonders dann, wenn sich der V-Mann passiv verhalte, eher wie ein reiner Beobachter, und keinen Druck auf den Verdächtigen ausübe ( Leitsatz 3.). Ganz ähnlich hat das Gericht verdeckte Ermittlungen als solche betrachtet (7). Damit unterscheidet es sich grundsätzlich nicht von der Rechtsprechung des BVerfG, wie sie zum Beispiel im Zusammenhang mit der Onlinedurchsuchung ausgeführt wurde (8) und zu der des BGH ( siehe links).
 

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1. Der Einsatz eines technischen Abhör- und Aufzeichnungshilfsmittels in einem privaten Umfeld (hier: der Wohnung eines Beschuldigten) durch einen V-Mann der Ermittlungsbehörden erfordert eine gesetzliche Grundlage, die spezifische und detaillierte Anforderungen an die Zulässigkeit dieser heimlichen Ermittlungsmaßnahme stellt und damit einen hinreichenden Schutz gegen Willkür bietet. Dies gilt auch dann, wenn der V-Mann das aufgezeichnete Gespräch (den Zugang zur Wohnung) mit der Zustimmung des Beschuldigten erlangt, der über die Aufzeichnung nicht informiert ist. Die Prinzipien, die nach der Rechtsprechung des EGMR insbesondere für die heimliche Telekommunikationsüberwachung gelten, gelten analog auch beim Gebrauch von technischen Hilfsmitteln zur Aufzeichnung des vertraulich gesprochenen Wortes außerhalb der Telekommunikation.
 
 

 

2. Der Gebrauch eines rechtswidrig unter Verletzung anderer Menschenrechte (hier: Art. 8 EMRK) erlangten Beweismittels macht ein Verfahren nicht stets unfair (entschieden mit elf zu sechs Stimmen). Die Entscheidung, ob die Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel das Recht auf ein faires Verfahren verletzt, hängt insbesondere von der Beachtung der übrigen Verteidigungsrechte, von einer Prüfung der rechtswidrigen Erlangung, von der Beweiskraft und Verlässlichkeit des Beweismittels sowie von der Natur der Verletzung eines anderweitigen Rechts der EMRK ab.
 
 

 

3. Die Grundsätze der Allan-Entscheidung (9) zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit in funktionalen Vernehmungen sind nicht gleichermaßen anwendbar, wenn der Beschuldigte noch nicht inhaftiert ist, auf ihn nicht in Vernehmungen Druck hin zu einer Aussage ausgeübt worden ist und er seinen Willen noch nicht geäußert hat, schweigen zu wollen. Jedenfalls dann, wenn der Beschuldigte durch die Umstände eines V-Mann-Einsatzes unter keinen Druck gerät, mit dem V-Mann zu sprechen und sich selbst zu belasten, und wenn selbstbelastende Gesprächsaufnahmen zu frei entstandenen Gesprächen nicht unvermittelt als (eine Art) Geständnis zur Urteilsgrundlage gemacht werden, liegt keine Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit vor.
 
 

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1. Zwar sind die von einem Verdeckten Ermittler gewonnenen Erkenntnisse im Grundsatz verwertbar, wenn die Voraussetzungen für seinen Einsatz und die hierfür erforderliche richterliche Zustimmung ( §§ 110a Abs. 1 Satz 4, 110b Abs. 2 Nr. 2 StPO) vorlagen (vgl. BGHSt 52, 11, 14 f. (8)). Ein Verdeckter Ermittler darf aber einen Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat, nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer Aussage drängen und ihm in einer vernehmungsähnlichen Befragung Äußerungen zum Tatgeschehen entlocken. Eine solche Beweisgewinnung verstößt gegen den Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten, und hat regelmäßig ein Beweisverwertungsverbot zur Folge ...
 
 

 
 
2. Ein Verdeckter Ermittler nutzt nicht lediglich ein zwischen ihm und der Angeklagten bestehendes Vertrauensverhältnis aus, um Informationen aufzunehmen, die ihm die Angeklagte von sich aus gegeben hat, wenn er das Vertrauensverhältnis von sich aus aufbaut und er in Kombination mit weiteren, druckerhöhenden offenen Ermittlungsmaßnahmen auf die Angeklagte mit dem Ziel einwirkt, sie zu solchen Angaben zu veranlassen.
 
 

 
 
3. Das Beruhen kann aber zu verneinen sein, wenn die Angeklagte in späteren (ordnungsgemäßen) polizeilichen Vernehmungen und in einer Vernehmung durch den Haftrichter ihre Angaben wiederholt und diese der Verurteilung zugrunde liegen.
 
 

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(1) Höchstrichterliche Rechtsprechung in Strafsachen, hrr-strafrecht.de

(2) EGMR Nr. 4378/02 - Urteil der Großen Kammer vom 21.01.2009 (Bykov v. Russland)

(3) Verweis bei HRR auf Gaede, Fairness als Teilhabe, 2007, S. 800 ff.

(4) Thomas Mentzel, Isabel Schmitt-Falckenberg, Kirsten Wischnewski, Eigensicherung und Recht, Luchterhand 2003; Schriftenreihe des Bundeskriminalamts
 

 
(5) Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 13.05.1996 - GSSt 1/96

(6) BGH, Beschluss vom 27.01.2009 - 4 StR 296/08

(7) Grenzziehung vom EuGH

(8)  BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 - 1 BvR 370/07, 595/07 

(9) EGMR Nr. 48539/99 - Urteil v. 05.11.2002 (Allan v. Großbritannien)

 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018