BVerfG: Onlinedurchsuchung |
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Auswirkungen auf das Strafverfahrensrecht |
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Grundlagen und Grundrechte
StA und Strafverfolgung
technische Grundlagen
informationstechnische Systeme
Vernetzung und Internet
verdeckte Ermittlungen
Infiltration und Penetration
Gestalt und Grenzen des neuen Grundrechts
freie Entfaltung der Persönlichkeit
Grenzen und Einzelheiten
Auswirkungen auf das Strafverfahrensrecht
die Onlinedurchsuchung
ist nicht ausgeschlossen
Verhältnismäßigkeit
Verfahrensregeln
Kernbereichsschutz
Alternative: Archivlösung
Fazit
Grundlagen
Quellen-TKÜ
Kernbereichsschutz
verdeckte Ermittlungen
Peripheriegeräte
unvollständiges System
einheitliches Recht zur
Onlinedurchsuchung
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05.04.2008:
Das Bundesverfassungsgericht hat über die Zulässigkeit des
nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetzes zu entschieden
(1).
Die von ihm formulierten Anforderungen an die Zulässigkeit der
Onlinedurchsuchung im Strafverfahren lassen sich in ihren wesentlichen
Teilen auf das Strafverfahrensrecht übertragen. Eine offene Frage bleibt
dabei, ob die bestehenden Vorschriften bereits die Onlinedurchsuchung
als solche oder besondere ihrer Arten zulassen.
Der
Beschluss des BGH vom 31.01.2007 - StB 18/06 - ist insoweit wenig
hilfreich, weil er weder danach differenziert, ob eine
"echte"
Onlinedurchsuchung mit dem Ziel durchgeführt wird, gespeicherte Daten zu
sichten und zu kopieren und Verarbeitungsvorgänge in
informationstechnischen Systemen - itS - zu überwachen oder eine
Quellen-TKÜ unternommen werden soll, die sich auf die Überwachung der
noch unverschlüsselten Telekommunikation beschränkt. Auch
andere Formen
der Internet-Kommunikation bleiben bei ihm außer Betracht.
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Die entscheidenden Frage, ob auf die Onlinedurchsuchung die
§§
100a,
100c StPO Anwendung finden, ist unbeantwortet.
Meine
Einschätzung ist deshalb noch längst nicht hinfällig.
Auffällig sind nur
die ausufernden Ausführungen des BVerfG zur Quellen-TKÜ, die Anlass zu
der Befürchtung geben, dass das Gericht diese Form der Überwachung der
Telekommunikation als keinen Anwendungsfall des
§§
100a StPO betrachten will. Für eine klare Aussage hätte es sich
jedoch mit dem Gesetzgeber auseinander setzen müssen, der mit der
Neufassung
des
§
100b Abs. 6 StPO Ziffer 2 b) StPO die "Internettelekommunikation"
als einen ausdrücklichen Anwendungsfall der TK-Überwachung definiert hat
(
§ 100a StPO).
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die Onlinedurchsuchung ist nicht ausgeschlossen |
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Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität
informationstechnischer Systeme ist nicht schrankenlos. Eingriffe können
sowohl zu präventiven Zwecken als auch zur Strafverfolgung
gerechtfertigt sein. Der Einzelne muss dabei nur solche Beschränkungen
seines Rechts hinnehmen, die auf einer verfassungsmäßigen gesetzlichen
Grundlage beruhen. (Rn 207)
Eine Onlinedurchsuchung ist nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil
sie heimlich erfolgt. Aber:
In einem Rechtsstaat ist Heimlichkeit staatlicher Eingriffsmaßnahmen
die Ausnahme und bedarf besonderer Rechtfertigung (Rn 238).
Dazu bedarf es nicht nur einer gesetzlichen Ermächtigung, die dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt, sondern auch
ergänzender verfahrensrechtlicher Vorgaben, um den grundrechtlich
geschützten Interessen des Betroffenen Rechnung zu tragen (Rn 228).
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In
engen, besonders von dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimmten
Grenzen darf die Onlinedurchsuchung durchgeführt werden.
Sowohl wegen ihrer Zulässigkeit wie auch wegen ihrer Durchführung
verlangt das BVerfG nach gesetzlichen Regelungen, die diese
Ermittlungsmaßnahme noch mit dem Grundgesetz vereinbar lässt. |
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Verhältnismäßigkeit |
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Aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat der Gesetzgeber
insoweit die Ausgewogenheit zwischen der Art und Intensität der
Grundrechtsbeeinträchtigung einerseits und den zum Eingriff
berechtigenden Tatbestandselementen andererseits zu wahren ... Die
Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad und die Tatsachenbasis der
Prognose müssen in angemessenem Verhältnis zur Art und Schwere der
Grundrechtsbeeinträchtigung stehen. Selbst bei höchstem Gewicht der
drohenden Rechtsgutsbeeinträchtigung kann auf das Erfordernis einer
hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit nicht verzichtet werden. Auch
muss als Voraussetzung eines schweren Grundrechtseingriffs gewährleistet
bleiben, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen
Ausgangspunkt im Tatsächlichen besitzen. (Rn 245)
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Wegen der Besonderheiten des Polizeirechts, das präventiv auf
voraussehbare Gefahren ausgerichtet ist, anders als das
Strafverfahrensrecht, das der Aufklärung bereits begangener Taten dient,
verlangt das BVerfG nach einer Lageeinschätzung mit einem hohem
Wahrscheinlichkeitsgrad und mit der Gefahr einer existenziellen
persönlichen oder allgemeinen Gefährdung. |
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Darüber hinaus verlangt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,
dass tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein
überragend wichtiges Rechtsgut vorliegen. Überragend wichtig sind
zunächst Leib, Leben und Freiheit der Person. Ferner sind überragend
wichtig solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen
oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der
Menschen berührt. Hierzu zählt etwa auch die Funktionsfähigkeit
wesentlicher Teile existenzsichernder öffentlicher
Versorgungseinrichtungen. (Rn 247)
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Zudem ist eine von tatsächlichen Anhaltspunkten getragene
Gefahrenprognose erforderlich, für die
Vermutungen oder allgemeine Erfahrungssätze allein nicht ausreichen,
um den Zugriff zu rechtfertigen. Vielmehr müssen bestimmte Tatsachen
festgestellt sein, die eine Gefahrenprognose tragen. (Rn 250) Dazu
bedarf es einer konkreten Gefahr.
Dies ist eine Sachlage, bei der im Einzelfall die hinreichende
Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ohne Eingreifen des
Staates ein Schaden für die Schutzgüter der Norm durch bestimmte
Personen verursacht wird. Die konkrete Gefahr wird durch drei Kriterien
bestimmt: den Einzelfall, die zeitliche Nähe des Umschlagens einer
Gefahr in einen Schaden und den Bezug auf individuelle Personen als
Verursacher. (Rn 251)
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Wegen der dazu erforderlichen Prognose bestimmt das BVerfG die gleichen
Anforderungen, die auch für den
verstärkten und abgesicherten einfachen Verdacht gelten.
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Verfahrensregeln |
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Weiter muss eine Ermächtigung zum heimlichen Zugriff auf
informationstechnische Systeme mit geeigneten gesetzlichen Vorkehrungen
verbunden werden, um die Interessen des Betroffenen verfahrensrechtlich
abzusichern. Sieht eine Norm heimliche Ermittlungstätigkeiten des
Staates vor, die - wie hier - besonders geschützte Zonen der Privatheit
berühren oder eine besonders hohe Eingriffsintensität aufweisen, ist dem
Gewicht des Grundrechtseingriffs durch geeignete Verfahrensvorkehrungen
Rechnung zu tragen ... Insbesondere ist der Zugriff grundsätzlich unter
den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen. (Rn 257)
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Die begleitenden
Verfahrensregeln, die das BVerfG fordert, dürften den Regeln über die
Mitteilungen und gerichtlichen Entscheidungen entsprechen, die
§
101 StPO für andere verdeckte Ermittlungen bereits vorsieht.
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Richter können aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen
Unabhängigkeit und ihrer ausschließlichen Bindung an das Gesetz die
Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren ...
Vorausgesetzt ist allerdings, dass sie die Rechtmäßigkeit der
vorgesehenen Maßnahme eingehend prüfen und die Gründe schriftlich
festhalten. (Rn 259)
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Elementar, aber völlig ohne Überraschung ist es, dass das BVerfG einen
Richtervorbehalt verlangt.
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... eine Ausnahme für Eilfälle, etwa bei Gefahr im Verzug,
(kann) vorgesehen werden, wenn für eine anschließende Überprüfung
durch die neutrale Stelle gesorgt ist. Für die tatsächlichen und
rechtlichen Voraussetzungen der Annahme eines Eilfalls bestehen dabei
indes wiederum verfassungsrechtliche Vorgaben. (Rn 261)
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Überraschend ist vielmehr, dass das BVerfG es bei
Gefahr
im Verzug ausreichend lässt, dass kein Richter die Eilmaßnahme
anordnet. |
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Kernbereichsschutz |
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Heimliche Überwachungsmaßnahmen staatlicher Stellen haben einen
unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren, dessen
Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt ... Selbst überwiegende
Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in ihn nicht
rechtfertigen ... Zur Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich
privater Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie
Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse
höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum Ausdruck zu bringen, dass
staatliche Stellen dies überwachen. (Rn 271)
Der Gesetzgeber
hat so weitgehend wie möglich sicherzustellen, dass Daten mit
Kernbereichsbezug nicht erhoben werden. Ist es - wie bei dem heimlichen
Zugriff auf ein informationstechnisches System - praktisch unvermeidbar,
Informationen zur Kenntnis zu nehmen, bevor ihr Kernbereichsbezug
bewertet werden kann, muss für hinreichenden Schutz in der
Auswertungsphase gesorgt sein. Insbesondere müssen aufgefundene und
erhobene Daten mit Kernbereichsbezug unverzüglich gelöscht und ihre
Verwertung ausgeschlossen werden ... (Rn 277)
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Wie
das bekannte Schlusswort in der Kirche war vorherzusehen, dass das
BVerfG einen Kernbereichsschutz verlangt. Informationen aus dem
Kernbereich der persönlichen Lebensführung des Betroffenen dürfen
möglichst gar nicht erhoben werden, unterliegen einem Verwertungsverbot
und müssen schnellstmöglich vernichtet werden.
Das aus einem anderen Kulturkreis geläufige, "gebetsmühlenmäßige"
Wiederholen dieser Anforderungen macht sie in der Sache nicht besser.
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In Kenntnis der Anforderungen des BVerfG verstecken bereits heute
verschiedene Tätergruppen ihre kriminellen Absprachen hinter
fäkalsprachlichen Bildern und vordergründigen Berichten über ihr
Sexualleben.
Die Forderung nach der Vernichtung von Beweismitteln eröffnet allen
Manipulationsvorwürfen Tür und Tor. Korrupte oder fehlorientierte
Ermittler können mit dieser Ermächtigung tatsächlich Unschuldsbeweise
unwiederbringlich vernichten und jedem Verteidiger ist der Verdacht
eröffnet, genau dies zu behaupten.
Eine eingriffsneutrale Lösung des Zielkonflikts lässt sich nur
mittels eines neutralen Archivs erreichen, dessen Grundstrukturen von
der amtsgerichtlichen Hinterlegungsstelle, dem Grundbuch, dem Handels-
und anderen Gemeinschaftsregistern oder den Notariaten wegen
konstitutiver Vertragstexte bekannt ist.
Das mir vorschwebende Verfahren hat folgende Abläufe:
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1. |
Die Ermittlungsbehörde erhebt die
Beweismittel vollständig und lückenlos. |
2. |
Die Ermittlungsbehörde bestimmt die
Bestandteile, die für den Untersuchungsgegenstand
bedeutsam sind. Handelt es sich um digitale Daten,
werden sie auf einer "Arbeitskopie" auf CD oder DVD
dokumentiert. |
3. |
Alle Daten werden in ihrer Urform dem
Archiv übergeben. Sie umfassen Alles, was bei der
ursächlichen Sicherstellung in den amtlichen Gewahrsam
genommen wurde. Die Ermittlungsbehörde dokumentiert
damit, dass sie auf dieses Material keinen Zugriff mehr
nehmen will. |
4. |
Das Archiv gewährt Einblick und
Auskunft aufgrund formalisierter Verfahren. Dem
erkennenden Gericht ist vollständiger Zugang zu
gewähren, den übrigen Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe
ihrer Zugangsberechtigungen. |
5. |
Dritte dürfen auf die hinterlegten
Daten nur aufgrund eines förmlichen Zulassungsverfahrens
zugreifen. |
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Das BVerfG geht davon aus, dass bei einer automatischen
Onlinedurchsuchung kein wirkungsvoller Kernbereichsschutz bei der
Erhebung gewährleistet werden kann (Rn 278).
Selbst wenn der Datenzugriff unmittelbar durch Personen ohne
vorherige technische Aufzeichnung erfolgt, etwa bei einer persönlichen
Überwachung der über das Internet geführten Sprachtelefonie, stößt ein
Kernbereichsschutz schon bei der Datenerhebung auf praktische
Schwierigkeiten. Bei der Durchführung einer derartigen Maßnahme ist in
der Regel nicht sicher vorhersehbar, welchen Inhalt die erhobenen Daten
haben werden ... Auch kann es Schwierigkeiten geben, die Daten
inhaltlich während der Erhebung zu analysieren. So liegt es etwa bei
fremdsprachlichen Textdokumenten oder Gesprächen. Auch in derartigen
Fällen kann die Kernbereichsrelevanz der überwachten Vorgänge nicht
stets vor oder bei der Datenerhebung abgeschätzt werden. In solchen
Fällen ist es verfassungsrechtlich nicht gefordert, den Zugriff wegen
des Risikos einer Kernbereichsverletzung auf der Erhebungsebene von
vornherein zu unterlassen. (Rn 279)
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Wegen des unmittelbaren Kernbereichsschutzes nimmt das BVerfG seine
Anforderungen zurück und verlangt deshalb, dass die nachträglichen
Schutzmaßnahmen lückenlos erfolgen.
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Das BVerfG verlangt deshalb nach einem zweistufigen Schutzkonzept,
wie es auch die Überwachung der Telekommunikation und und die akustische
Wohnraumüberwachung vorsehen (n 280):
Die gesetzliche Regelung hat darauf hinzuwirken, dass die Erhebung
kernbereichsrelevanter Daten soweit wie informationstechnisch und
ermittlungstechnisch möglich unterbleibt ... Insbesondere sind
verfügbare informationstechnische Sicherungen einzusetzen. Gibt es im
Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine bestimmte
Datenerhebung den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren wird,
so hat sie grundsätzlich zu unterbleiben. Anders liegt es, wenn zum
Beispiel konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass
kernbereichsbezogene Kommunikationsinhalte mit Inhalten verknüpft
werden, die dem Ermittlungsziel unterfallen, um eine Überwachung zu
verhindern. (Rn 281)
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Der Gesetzgeber hat durch geeignete Verfahrensvorschriften
sicherzustellen, dass dann, wenn Daten mit Bezug zum Kernbereich
privater Lebensgestaltung erhoben worden sind, die Intensität der
Kernbereichsverletzung und ihre Auswirkungen für die Persönlichkeit und
Entfaltung des Betroffenen so gering wie möglich bleiben. (Rn 282)
Darüber hinaus ist
ein
geeignetes Verfahren vorzusehen ..., das den Belangen des Betroffenen
hinreichend Rechnung trägt. Ergibt die Durchsicht, dass
kernbereichsrelevante Daten erhoben wurden, sind diese unverzüglich zu
löschen. Eine Weitergabe oder Verwertung ist auszuschließen ... (Rn 283)
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Anmerkungen |
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(1)
Urteil des BVerfG
vom 27.02.2008 - 1 BvR 370/07, 595/07
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Cyberfahnder |
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© Dieter
Kochheim,
11.03.2018 |