Cybercrime | Ermittlungen | TK & Internet | Literatur | intern | Impressum |
BVerfG: Onlinedurchsuchung | ||||||||||||
Gestalt und Grenzen des neuen Grundrechts | ||||||||||||
freie Entfaltung der Persönlichkeit | ||||||||||||
Grundlagen und Grundrechte StA und Strafverfolgung technische Grundlagen informationstechnische Systeme Vernetzung und Internet verdeckte Ermittlungen Infiltration und Penetration Gestalt und Grenzen des neuen Grundrechts freie Entfaltung der Persönlichkeit allgemeines Persönlichkeitsrecht informationelle Selbstbestimmung Vertraulichkeit und Integrität von itS TK-Geheimnis Unverletzlichkeit der Wohnung Abgrenzungen Grenzen und Einzelheiten Nutzung offener Inhalte im Internet verdeckte Ermittlungen Auswirkungen auf das Strafverfahrensrecht die Onlinedurchsuchung ist nicht ausgeschlossen Verhältnismäßigkeit Verfahrensregeln Kernbereichsschutz Alternative: Archivlösung Fazit Grundlagen Quellen-TKÜ Kernbereichsschutz verdeckte Ermittlungen Peripheriegeräte unvollständiges System einheitliches Recht zur Onlinedurchsuchung |
Ihm stellt das Gericht jetzt das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme zur Seite (itS, Rn 166 (3) ), um neuartigen Gefährdungen zu begegnen, zu denen es im Zuge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und gewandelter Lebensverhältnisse kommen kann (Rn 169). Dies ist nur deshalb zulässig, weil die Grundrechte zum Fernmeldegeheimnis ( Art. 10 Abs. 1 GG), der Unverletzlichkeit der Wohnung ( Art. 13 Abs. 1 GG) und der informationellen Selbstbestimmung Lücken lassen, die vom Schutz der Grundrechte umfasst werden müssen (Rn 168).
|
Der Schutz der Telekommunikation ist jedoch auf den
Kommunikationsvorgang beschränkt und umfasst nicht die dauerhaft
gespeicherten oder unabhängig von der Kommunikation verarbeiteten
Dateien im System (Rn 185). Dies gilt besonders dann, wenn der
Datenverarbeitungsprozesse heimlich überwacht oder eine Durchsicht, Auswertung und Übertragung
gespeicherter Daten erfolgt (Rn 186). |
||||||||||
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ... gibt dem Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (Rn 198). Es ist ein Abwehrrecht gegen die grenzenlose Verpflichtung, sich offenbaren zu müssen.
Das Recht auf Gewährleistung der
Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme
betrifft vor Allem die heimliche Erhebung und Verarbeitung
personenbezogener digitaler Daten im Zusammenhang mit der EDV-Technik,
die nur von einer Person oder einem eng umgrenzten Personenkreis genutzt
wird (Rn 206). Es bezieht sich nicht auf einfache
technische Konstruktionen wie die Haustechnik, die
lediglich Daten mit punktuellem Bezug zu einem bestimmten
Lebensbereich des Betroffenen enthalten (Rn 202). |
Es schützt sowohl die Vertraulichkeit der persönlichen Daten wie auch die Integrität ihrer Verarbeitung (Rn 204). |
|||||||||||
Grenzen und Einzelheiten | ||||||||||||
Nutzung offener Inhalte im Internet |
||||||||||||
Einen Schwerpunkt der Ausführungen des BVerfG bilden die Kommunikationsbeziehungen staatlicher Einrichtungen zu Ermittlungszwecken im Internet. Das Gericht vertritt dabei eine vernünftige Linie: Die Ermittlungsbehörden dürfen alle öffentlich zugänglichen Informationsquellen nutzen. Eine Grenze wird erst dann überschritten, wenn die Erhebungen in Datensammlungen einfließen, die ihrerseits besonders erhebliche und neue Erkenntnisse über die Person des Betroffenen erbringen. Die Ermittlungsbehörden dürfen darüber hinaus auch mit Legenden arbeiten, soweit sie dazu führen, dass sich der Betroffene aus freiem Willen äußert. Fremde Zugangsdaten dürfen die Ermittlungsbehörden nutzen, soweit sie ihnen freiwillig offenbart werden.
Durch technische Manipulationen (Keylogger, Abhören) erlangtes
Zugangswissen darf hingegen nach Maßgabe des neuen Grundrechts auf die
Gewährung der Vertraulichkeit und Integrität von itS nur aufgrund einer
besonderen Ermächtigung verwendet werden. |
|
|||||||||||
Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann
allerdings gegeben sein, wenn Informationen, die durch die Sichtung
allgemein zugänglicher Inhalte gewonnen wurden, gezielt
zusammengetragen, gespeichert und gegebenenfalls unter Hinzuziehung
weiterer Daten ausgewertet werden und sich daraus eine besondere
Gefahrenlage für die Persönlichkeit des Betroffenen ergibt. Hierfür
bedarf es einer Ermächtigungsgrundlage. (Rn 309) |
Grenzen aufgrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sieht das BVerfG auch bei dieser Art der Informationsgewinnung, wenn sie zu neuen Datensammlungen führen und deshalb zu einer Gefahr für die freie Entfaltung der Persönlichkeit werden. Sie benötigen einer besonderen Ermächtigungsgrundlage. Das BVerfG diskutiert damit nichts anderes als den Grundsatz, der für das Social Engineering gilt: Fünf banale Informationen bergen zusammen genommen eine brisante. Soweit das BVerfG nach einer Ermächtigungsgrundlage für
Datensammlungen verlangt, dürften zunächst für strafverfahrensrechtliche
Erkundigungen die allgemeine Ermittlungsermächtigung aus
§
161 Abs. 1 StPO und der maschinelle Datenabgleich (
§ 98c StPO) hinreichend sein. |
|||||||||||
verdeckte Ermittlungen | ||||||||||||
Danach wird die reine Internetaufklärung in aller Regel keinen
Grundrechtseingriff bewirken. Die Kommunikationsdienste des Internet
ermöglichen in weitem Umfang den Aufbau von Kommunikationsbeziehungen,
in deren Rahmen das Vertrauen eines Kommunikationsteilnehmers in die
Identität und Wahrhaftigkeit seiner Kommunikationspartner nicht
schutzwürdig ist, da hierfür keinerlei Überprüfungsmechanismen
bereitstehen. Dies gilt selbst dann, wenn bestimmte Personen - etwa im
Rahmen eines Diskussionsforums - über einen längeren Zeitraum an der
Kommunikation teilnehmen und sich auf diese Weise eine Art
„elektronische Gemeinschaft“ gebildet hat. Auch im Rahmen einer solchen
Kommunikationsbeziehung ist jedem Teilnehmer bewusst, dass er die
Identität seiner Partner nicht kennt oder deren Angaben über sich
jedenfalls nicht überprüfen kann. Sein Vertrauen darauf, dass er nicht
mit einer staatlichen Stelle kommuniziert, ist in der Folge nicht
schutzwürdig. (Rn 311) |
Das BVerfG sieht insoweit zwar das Erfordernis, dass die Integrität der itS-Technik zu gewährleisten ist, nicht jedoch die Identität von Kommunikationspartnern und die Wahrhaftigkeit ihrer Aussagen.
Praktisch bedeutsam wird das vor Allem wegen solcher Foren, die einen
öffentlichen und einen geschlossenen Bereich unterhalten, in den ein
"Neuling" erst aufgenommen wird, wenn er sich durch seine öffentlichen
Äußerungen ein hinreichendes Vertrauen der Betreiber erworben hat.
|
|||||||||||
Erlangt eine staatliche Stelle Kenntnis von den
Inhalten einer über die Kommunikationsdienste des Internet
geführten Fernkommunikation auf dem dafür technisch vorgesehenen
Weg, so liegt darin nur dann ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG,
wenn die staatliche Stelle hierzu nicht durch
Kommunikationsbeteiligte autorisiert ist. Da das
Telekommunikationsgeheimnis das personengebundene Vertrauen der
Kommunikationsbeteiligten zueinander nicht schützt, erfasst die
staatliche Stelle die Kommunikationsinhalte bereits dann
autorisiert, wenn nur einer von mehreren Beteiligten ihr diesen
Zugriff freiwillig ermöglicht hat. (Rn 291) |
Dadurch sind die Ermittlungsbehörden auch berechtigt, die
Zugangsdaten zu verwenden, die ihnen ein Dritter - Informant oder
Anzeigeerstatter - freiwillig offenbart. Auch diese Öffnung wird
bedeutsam wegen der bereits angesprochenen geschlossenen Foren und
Gesprächskreise (Chat usw.). |
|||||||||||
Dagegen ist ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG zu
verneinen, wenn etwa ein Teilnehmer eines geschlossenen Chats
der für die Verfassungsschutzbehörde handelnden Person seinen
Zugang freiwillig zur Verfügung gestellt hat und die Behörde in
der Folge diesen Zugang nutzt. Erst recht scheidet ein Eingriff
in das Telekommunikationsgeheimnis aus, wenn die Behörde
allgemein zugängliche Inhalte erhebt, etwa indem sie offene
Diskussionsforen oder nicht zugangsgesicherte Webseiten
einsieht. (Rn 292) |
|
|||||||||||
Anmerkungen | ||||||||||||
(2) Informationelle Selbstbestimmung
(3)
Die Randnummern beziehen sich weiterhin auf das
Urteil des BVerfG
vom 27.02.2008 - 1 BvR 370/07, 595/07 |
||||||||||||
Cyberfahnder | ||||||||||||
& |
© Dieter Kochheim, 11.03.2018 |