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August 2009
09.08.2009 Besetzungsrüge
     
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Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG beschließt die ... große Strafkammer bei der Eröffnung des Hauptverfahrens, dass sie in der Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern einschließlich des Vor-sitzenden besetzt ist, es sei denn, nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache erscheint die Mitwirkung eines dritten (Berufs-)Richters erforderlich. Bei dieser Entscheidung steht der Strafkammer kein Ermessen zu; sie hat die Dreierbesetzung zu beschließen, wenn dies nach Umfang oder Schwierigkeit der Sache notwendig erscheint. <RN 11> (1)
 
 
Jedoch begründet nicht jeder Verstoß gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG eine durchgreifende Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 StPO. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn die Strafkammer ihre Entscheidung auf sachfremde Erwägungen gestützt oder den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten hat, so dass die Besetzungsreduktion objektiv willkürlich erscheint ... <RN 12> (1)
 
 
Angesichts dieses Umfangs der Sache war die Reduzierung der Richterbank auch bei Beachtung des der Kammer eingeräumten weiten Beurteilungsspielraums nicht mehr vertretbar. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass ... die Strafkammer zum Zeitpunkt der Entscheidung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG offensichtlich davon ausgegangen ist, das Verfahren durch eine Absprache einverständlich und damit kurzfristig erledigen zu können. Dies hätte eine Besetzungsreduktion aber allenfalls dann rechtfertigen können, wenn die Kammer nach dem bisherigen Verfahrensgang konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür gehabt hätte, dass sich die Angeklagten in der Hauptverhandlung entsprechend den Anklagevorwürfen geständig zeigen werden ... <RN 13> (1)
 
 

 
Es gibt Entscheidungen des obersten Fachgerichts, deren tiefer Sinn sich nicht ohne weiteres erschließt. So geht es mir bei dem Urteil des BGH aus dem Juni, in dem er die Verhandlung zum angefochtenen Urteil in Zweierbesetzung kritisiert (1).

§ 76 Abs. 1 GVG stellt als Leitbild auf, dass die großen Strafkammern des Landgerichts mit einem Vorsitzenden und zwei weiteren Berufsrichtern besetzt sind. Hinzu kommen zwei Laienrichter ( Schöffen). Sie müssen in der Hauptverhandlung ununterbrochen anwesend sein ( § 226 Abs. 1 StPO). Die Vorschrift spricht von zwei weiteren Funktionsstellen: Ein Protokollführer und die Staatsanwaltschaft müssen ebenfalls ständig anwesend sein. Ihre Aufgaben können jedoch von wechselnden Personen wahrgenommen werden.

Erkrankt eine Gerichtsperson, dann kann die Hauptverhandlung in Umfangssachen länger unterbrochen werden ( § 229 Abs. 3 StPO).

Nach der üblichen Arbeitsteilung in einer großen Strafkammer kommt dem Vorsitzenden die Aufgabe der Verhandlungsleitung zu. Noch tiefer in den Prozessstoff muss der zweite Berufsrichter eingearbeitet sein. Er ist nicht nur "Beisitzer", sondern auch der Berichterstatter, der die Hauptverhandlung wegen aller Rechts- und Sachfragen vorbereitet und am Ende den Entwurf des Urteils schreiben muss.

Dem dritten Berufsrichter kommt in aller Regel eine rein beobachtende Rolle zu; nur selten findet eine Arbeitsteilung zwischen den beisitzenden Berufsrichtern in derselben Strafsache statt. Böswillige Zungen sprechen deshalb gelegentlich vom dritten Berufsrichter als den "Beischläfer".

§ 76 Abs. 2 GVG stellt sich dem allgemeinen Leitbild entgegen und bestimmt, dass die "normale" große Strafkammer mit 2 Berufsrichtern besetzt sein muss.
 

 
Nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG kann sie bei der Eröffnung des Hauptverfahrens ( §§ 199 ff. StPO) darüber entscheiden, ob sie mit zwei oder drei Berufsrichtern besetzt sein soll. Dieser Möglichkeit hat der BGH jetzt engere Schranken gesetzt, ohne damit eine genaue Handlungsanweisung gegeben zu haben (siehe Kasten links unten).

Die Folge davon ist, dass die Dreierbesetzung zum Regelfall wird, ohne dass davon erkennbare Vorteile zu erwarten sind.

Nur für das Schwurgericht, das für die Verhandlung über äußerst schwere Verbrechen zuständig ist ( § 74 Abs. 2 GVG), ist die Dreierbesetzung ohne Ausnahme vorgeschrieben ( § 76 Abs. 2 GVG).

An der Beratung nehmen die Berufsrichter und Schöffen mit gleicher Stimme teil ( § 196 GVG). Von ihr ausgeschlossen sind auch die Ergänzungsrichter und -schöffen.

Sie spielen eine besondere Rolle ( § 192 Abs. 2, 3 GVG) und dienen der Verfahrenssicherung in unwägbaren Umfangsverfahren. Sie müssen während der ganzen Hauptverhandlung anwesend sein, sind aber von den Beratungen und Entscheidungen des Gerichts ausgeschlossen. Nur dann, wenn ein Berufsrichter oder ein Schöffe wegen Krankheit oder aus anderen Gründen ausfällt ( §§ 22 ff. StPO) und dadurch die weitere Hauptverhandlung gefährdet wird, rücken sie in den Spruchkörper nach und werden zu seinem stimmberechtigten Vollmitglied.

Im Zusammenhang mit der hier besprochenen BGH-Entscheidung wäre es deshalb näher liegend, die Verfahrenssicherung durch Ergänzungsrichter als durch beisitzende Vollmitglieder des Spruchkörpers zu diskutieren. Aber das ist vielleicht zu profan und praxisnah.
 

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(1) BGH, Urteil vom 18.06.2009 - 3 StR 89/09
 

 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018