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				| Das Akteneinsichtsrecht nach
  § 147 Abs. 1 StPO    bezieht sich auf die dem Gericht vorliegenden oder ihm im Falle 
				der Anklage gemäß  § 
				199 Abs. 2 Satz 2 StPO vorzulegenden Akten. Das sind nach 
				herrschender Meinung die von der Staatsanwaltschaft nach 
				objektiven Kriterien (vgl.  § 
				160 Abs. 2 StPO) als entscheidungserheblich dem Gericht zu 
				präsentierenden Unterlagen. Dazu gehören ... zwar (nur) 
				diejenigen, die durch die Identität der Tat und der des Täters 
				konkretisiert werden ("formeller Aktenbegriff", vgl. BGHSt 30, 
				131, 138 f.  (1) 
				...). Jedoch muss danach jedenfalls das gesamte vom 
				ersten Zugriff der Polizei (  § 
				163 StPO) an gesammelte Beweismaterial, einschließlich etwaiger 
				Bild- und Tonaufnahmen nebst hiervon gefertigter 
				Verschriftungen, zugänglich gemacht werden, das gerade in dem 
				gegen den Angeklagten gerichteten Ermittlungsverfahren 
				angefallen ist (...). Eine Ausnahme gilt nur für Unterlagen oder 
				Daten, denen eine allein innerdienstliche Bedeutung zukommt. 
				Dies können etwa polizeiliche Arbeitsvermerke im Fortgang der 
				Ermittlungen unter Bewertung der bisherigen 
				Ermittlungsergebnisse oder sonstige rein interne polizeilichen 
				Hilfs- oder Arbeitsmittel nebst entsprechender Dateien sein 
				(...). Im Bereich der Justizbehörden sind vom 
				Akteneinsichtsrecht ausgenommen etwa entsprechende Bestandteile 
				der staatsanwaltschaftlichen Handakten, Notizen von Mitgliedern 
				des Gerichts während der Hauptverhandlung oder so genannte 
				Senatshefte (...). <RN 20>  (2) 
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  Manche 
		Streite wirken im Rückblick unwirklich, zum Beispiel der, ob die 
		Verteidigung Einblick in die Spurenakten nehmen darf. Spuren- und 
		Fallakten dienen zur besseren Gliederung des Prozessstoffes und sollen 
		nur die Arbeit mit den Akten erleichtern. Aus heutiger Sicht sind 
		sie zweifellos wie die "normalen" Akten zu behandeln und der Akteneinsicht 
		nach  § 147 StPO zugänglich. Hierfür gilt der Grundsatz, dass alles, was dem Gericht zugänglich 
		ist, auch der Verteidigung zugänglich sein soll. Basta und gut so. Das Urteil des BGH aus dem Juni 2009 
		 (2) 
		geht darüber noch einen Schritt hinaus, indem es alle digitalen und 
		Audio-Aufzeichnungen der Überwachung der Telekommunikation - TKÜ - dem 
		Akteneinsichtsrecht der Verteidigung zugänglich macht. Mit dieser 
		Absolutheit setzt sich das oberste Fachgericht einigen Widersprüchen 
		aus. 
		 Die 
		Auswertung einer TKÜ verläuft grundsätzlich in drei Schritten:  Sichtung 
  Verschriftung 
  Zusammenfassung und Bewertung
 Die Sichtung erfolgt in aller Regel im Nachhinein, weil eine 
		Life-Überwachung so viel Personal bindet und Kosten verursacht, dass sie 
		außer jedes Verhältnis steht, wenn es sich nicht um eine besonders 
		gefährliche Situation handelt, z.B. um eine Geiselnahme, oder um die 
		Festnahme besonders gefährlicher Täter geht.
 |  Der sichtende Polizeibeamte 
		verschriftet dann im Auftrag der Staatsanwaltschaft die wichtig 
		erscheinenden Passagen und kennzeichnet unwichtige als das, was sie 
		sind: Unbeachtlich. Dazu gehören auch die Gesprächsinhalte, die den 
		Kernbereich der persönlichen Lebensführung betreffen und deshalb ebenso 
		zu löschen sind wie die, an denen zeugnisverweigerungsberechtigte 
		Personen nach Maßgabe von
  § 161 Abs. 2, 3 StPO beteiligt sind. 
		 Diese 
		Löschung birgt das - insofern neutrale - Problem, dass Informationen 
		vernichtet werden, die sich später sowohl zulasten wie auch zugunsten 
		von Verdächtigen oder Dritten auswirken können. Das Beweismaterial wird 
		dadurch perforiert und wegen seines Gesamtaussagewertes beschädigt. Ich favorisiere deshalb das
		
		 Archivmodell, das die vollständige Dokumentation von Beweismaterial 
		ermöglicht, den Zugriff Unberechtigter jedoch ausschließt. 
		 Je nach der 
		Bedeutung des gesprochenen Wortes erfolgt die Verschriftung als 
		Wortprotokoll, meistens jedoch in zusammen fassenden Worten oder zum 
		Beispiel allgemein beschreibend als "Privatgespräch", wenn es oberhalb 
		der Schwelle zum Kernbereich der persönlichen Lebensführung angesiedelt 
		ist. 
		 Die 
		Beschränkung der Verschriftung dient mindestens zwei Zwecken. Sie 
		erspart personelle Aufwände und verhindert, dass die an der überwachten 
		Telekommunikation beteiligten über das Maß hinaus bloßgestellt werden, 
		das unabdingbar ist. 
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    Nach diesen Maßstäben gehören die beim Landeskriminalamt als 
				Computerdateien gespeicherten Unterlagen zu den nach  § 
				199 Abs. 2 Satz 2 StPO dem Gericht vorzulegenden Akten. Sie sind 
				konkret in den gegen die Angeklagten geführten 
				Ermittlungsverfahren wegen der Taten angefallen, die letztlich 
				Gegenstand der Anklageschriften geworden sind. Sie sind daher 
				nicht mit Spurenakten vergleichbar, die Ermittlungsergebnisse 
				zwar zu den nämlichen Straftaten enthalten, sich aber allein 
				auf andere Personen beziehen, die im Laufe der Ermittlungen 
				(vorübergehend) mit diesen Taten in Verbindung gebracht wurden 
				(s. dazu BGHSt 30, 131; BVerfGE 63, 59  (3)). 
				Es handelt sich auch 
				nicht um rein polizeiinterne Hilfs- und Arbeitsmittel. 
 Hier
    wurden von den auf albanisch geführten Telefonaten 
				Kurzübersetzungen ins Deutsche und inhaltliche Zusammenfassungen 
				in deutscher Sprache erstellt und gespeichert. Derartige 
				Kurzübersetzungen und inhaltliche Zusammenfassungen sind aber 
				Auswertungen gewonnenen Beweismaterials und als solche selbst 
				potentielle Beweismittel. Dies unterscheidet sie von reinen 
				Bewertungen, die an eine derartige Auswertung anknüpfen können 
				und allein polizeiinternes Arbeitsmittel sind, wenn sie etwa der 
				Strukturierung der weiteren Ermittlungen dienen. Den 
				Verteidigern durfte danach die Einsichtnahme in die 
				gespeicherten Dateien nicht verweigert werden. <RN 21> 
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  Ein 
		weiteres Problem ist das der Verständigungssprache. In der Praxis dürfte 
		der überwiegende Teil der aufgezeichneten Gespräche in einer 
		Fremdsprache geführt werden, die ohne Dolmetscher nicht verschriftet 
		werden können. 
		Dazu können nur solche Dolmetscher herangezogen werden, die nicht nur 
		handwerklich gut sind, sondern auch lokale Mundarten verstehen und 
		schließlich so tief in den Untersuchungsgegenstand eingeweiht sind, dass 
		sie die Andeutungen und die hintersinnige Wortwahl der Sprecher 
		verstehen. 
		Wegen dieser besonderen Probleme im Zusammenhang mit Fremdsprachen 
		erfolgt die Verschriftung häufig in indirekter und zusammenfassender 
		Rede. Nur die besonders bedeutenden Passagen werden, möglicherweise 
		sogar erst in einem weiteren Arbeitsschritt wortwörtlich übersetzt. 
		 Die 
		Datenbank mit den verschrifteten Texten stellt schließlich die Grundlage 
		für die weitere polizeiliche Arbeit dar. Nur die Erkenntnisse und 
		Zusammenfassungen aus ihr gelangen endlich in die Akten oder ihren 
		Nebenvorgängen (Sonderhefte, Fall- und Spurenakten). 
		 Den Zugriff 
		auf gelöschte Inhalte bekommt ein akteneinsehender Verteidiger nicht. 
		Sie sind unwiederbringlich verloren und lassen sich auch nicht 
		rekonstruieren. Das BVerfG geht in seiner Entscheidung zur 
		 Beschlagnahme von E-Mails noch über die Löschungsanweisungen des 
		Gesetzgebers hinaus, indem es sich gegen eine 
		überschießende Beschlagnahme wendet. Zur Frage der dauerhaften 
		Dokumentation nimmt es klar Stellung: Es bevorzugt die Beweisunklarheit 
		gegenüber Datenfriedhöfen, die in aller Regel niemanden mehr 
		interessieren. Dadurch verhindert es grundsätzlich denkbare Missbräuche 
		- auf die Gefahr hin, dass Hauptverhandlungen erschwert und unnötig in 
		die Länge gezogen werden. 
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  Der BGH 
		wendet sich in eine andere Richtung und mit demselben Ergebnis, dass 
		ebenfalls der Prozessstoff ausufern kann. Dabei übersieht er, dass es sich im System des
		
		 § 
		147 StPO bei den TKÜ-Mitschnitten nicht um 
		Aktenbestandteile handelt, sondern um Beweisstücke. Sie unterliegen nicht der 
		Akteneinsicht, sondern nur dem Besichtigungsrecht auf der 
		Geschäftsstelle (  § 147 Abs. 4 StPO), wo sich der Verteidiger auf seiner mitgebrachten 
		Sonnenliege stunden- und nächtelang die intellektuell fragwürdigen 
		Äußerungen seines Mandanten und von dessen Kontaktleuten anhören kann. 
		 Ich habe 
		Verständnis dafür, dass der Verteidigung die Original-Mitschnitte 
		zugänglich gemacht werden, deren Verschriftung schließlich zum 
		Gegenstand der Anklagevorwürfe gemacht wird. Ich habe auch noch ein 
		gewisses Verständnis dafür, dass die Verteidigung darüber hinaus ein 
		Prüfungsrecht haben muss, das auch die nicht in das Verfahren 
		eingeführten Teile umfasst. Sinnvoller als das jetzt judizierte Flickwerk wären jedoch 
		vernünftige Verfahrensregeln unter Einschaltung neutraler Stellen. Die 
		Rechtsprechung tendiert hingegen zu immer aufwändigeren Pflichten 
		seitens der Strafverfolgungsbehörden. Sie lassen sich erfüllen, nicht 
		aber mit den vorhandenen sachlichen und personellen Mitteln. Der 
		Gesetzgeber und die Finanzmittel verwaltenden Regierungen stellen sich 
		dem gegenüber taub - ebenso wie sich BGH und BVerfG gegenüber 
		wirtschaftlichen Argumenten taub stellen. Ausbaden müssen das Dilemma die Polizeibeamten, Staatsanwälte und 
		Richter, die der stirngekräuselten Kritik der Verwaltung ausgesetzt sind, wenn etwas nicht normgerecht funktioniert, und 
		die überhaupt kein Verständnis dafür hat, warum das so sein könnte.
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