Im
Zusammenhang mit dem Verdacht terroristischer Aktivitäten wurde gegen
die Angeklagten eine Wohnraumüberwachung (großer Lauschangriff) auf
polizeirechtlicher Grundlage durchgeführt und deren Erkenntnisse im
Strafverfahren verwendet. Bei seiner Überprüfung stellt das BVerfG
zunächst fest, dass die polizeirechtliche Eingriffsnorm aus dem Jahr
2004 hinreichend bestimmt ist <Rn 128>.
In der Folge geht es um die
Frage der Zweckänderung, also darum, ob die polizeirechtlich gewonnenen
Erkenntnisse im Strafverfahren verwertet werden dürfen ("hypothetischer
Ersatzeingriff"). Ausschlaggebend ist zunächst,
dass es
sich bei der präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung nicht um eine
nach dem Grundgesetz generell unzulässige Maßnahme handelt und dass ihre
tatsächliche Durchführung den verfassungsrechtlichen Anforderungen zum
Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung entsprach <Rn
135>.
Grundsätzlich besteht eine Sperre gegen die
Zweckänderung:
Speicherung und Verwendung personenbezogener Informationen und Daten
sind grundsätzlich an den Zweck und an das Verfahren gebunden, für die
sie erhoben wurden (...). Eine Zweckänderung bedarf einer formell und
materiell verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage und muss durch
Allgemeinbelange gerechtfertigt sein, die die grundrechtlich geschützten
Interessen überwiegen <Rn 133>.
Der
Verwendungszweck, zu dem die Erhebung erfolgt ist, und der veränderte
Verwendungszweck dürfen nicht miteinander unvereinbar sein (...). Eine
solche Unvereinbarkeit läge vor, wenn mit der Zweckänderung
grundrechtsbezogene Beschränkungen des Einsatzes bestimmter
Erhebungsmethoden umgangen würden, die Informationen also für den
geänderten Zweck nicht oder nicht in dieser Art und Weise hätten erhoben
werden dürfen <Rn 147>.
Die Zulässigkeit der Verwertung folgert das
BVerfG aus dem schlichten
§ 261 StPO
und seinem Regelungszusammenhang <Rn 138 ff.>.
§ 261 StPO
entspricht bei verfassungskonformer Anwendung, die in Ausnahmefällen ein
Verwertungsverbot anerkennt, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Unverhältnismäßige Eingriffe sind bereits durch die Verfahrensstruktur
regelmäßig ausgeschlossen; verbleibenden Ausnahmefällen kann durch ein
Verwertungsverbot begegnet werden <Rn 144>.
Schon
angesichts dieser Struktur des Strafverfahrens und der dadurch
gewährleisteten Filterfunktion bereits auf der Ebene der
Informationserhebung und Zweckänderung bedarf es für den Regelfall
rechtmäßiger Informationserhebung keiner (weiteren) gesetzlichen
Einschränkungen oder Konkretisierungen auf der Ebene der
Informationsverwertung im Urteil <Rn 148>.
Fazit -
oder mit
anderen Worten:
Die
Frage nach der Verwertung von polizeirechtlich gewonnenen Erkenntnissen
setzt zunächst eine zulässige Eingriffsmaßnahme wegen der
Informationsgewinnung voraus. Die (polizeiliche) Eingriffsnorm muss
hinreichend bestimmt sein und dem verfassungsrechtlichen Schutz der
Grundrechte und des Kernbereichs privater Lebensgestaltung genügen.
Die Eingriffsmaßnahme muss nach Maßgabe des Strafverfahrensrechts
zulässig sein ("hypothetischer
Ersatzeingriff") und darf nicht dazu führen, dass Erkenntnisse gewonnen
werden, die im Strafverfahren nicht hätten erhoben werden dürfen (Filterfunktion).
Für diesen Prüfungsschritt wird auch der Begriff der "Schwellengleichheit"
verwendet. Ende 2007 wurden ausdrückliche Vorschriften in die StPO
eingeführt, die die Weitergabe an andere Verfahren (
§ 477 Abs. 2 S. 2 StPO) und die Einführung von Erkenntnissen aus
anderen Verfahrensordnungen regeln (
§ 161 Abs. 2 StPO)
(15).
Bei ihrer Auslegung und Anwendung ist weiterhin die Rechtsprechung zu
berücksichtigen, die zuvor entwickelt wurde.
Die Verfahrensvorschriften der StPO und ihr Regelungszusammenhang
gewähren bereits einen Grundschutz für die von der Verfassung gewährten
Persönlichkeits- und Verfahrensrechte. Sie müssen deshalb nicht bei
jeder Rechtsanwendung thematisiert oder gar in Frage gestellt werden.
Verwertungsverbote im Strafverfahren sind eine Ausnahme. Ihrer
Erörterung bedarf es deshalb grundsätzlich nicht, sondern nur, wenn der
Einzelfall dazu Anlass gibt.
Insoweit darf die Verfahrensordnung auch Schranken setzen. Etwa in der
Weise, dass ein ausdrücklicher Widerspruch in der Hauptverhandlung
oder eine begründete Rüge verlangt wird.
|