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September 2008
19.09.2008 Aussageverweigerung
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift Muss der Berufshelfer schweigen?
 

 
Mit Berufshelfern sind Seelsorger, Rechtsanwälte und besonders Ärzte gemeint (1).

Zunächst: Sie dürfen die Aussage verweigern ( § 53 Abs. 1 StPO). Das gilt auch für ihre Mitarbeiter ( § 53a StPO), die das gleiche Recht haben, und ihre Aufzeichnungen ( § 97 Abs. 1 StPO), die nicht beschlagnahmt werden dürfen (2).

Sie dürfen auch nicht aussagen, weil sie damit Privatgeheimnisse offenbaren würden ( § 203 StGB).

Das Privileg des Berufshelfers schützt nicht ihn, sondern seinen Schützling. Entbindet der Schützling seinen professionellen Helfer von der Schweigepflicht, dann muss der Berufshelfer aussagen ( § 53 Abs.2 S.1 StPO).
 

 
Zwei konfliktgeladene Konstellationen sind von besonderem Interesse. Was ist, wenn der Schützling verstorben ist, und was ist, wenn der Berufshelfer in einen inneren Konflikt gerät, weil er über Exklusivwissen verfügt, wonach Andere äußerst gefährdet sind?

Eine dritte Konstellation lässt sich ganz einfach abhandeln. Sie betrifft den Arzt, der im behördlichen Auftrag zum Beispiel eine Blutprobe nimmt oder als Amtsarzt die Verhandlungsfähigkeit beurteilen soll: Er wird im behördlichen Auftrag tätig und der Patient ist nur bedingt zur Mitarbeit und Duldung verpflichtet. Äußert sich der Patient unbedarft darüber hinaus, genießt er keinen besonderen Schutz. Der Amtsarzt darf und muss aussagen, weil er im öffentlichen Auftrag handelt und der Patient ihn nicht privat um Rat gefragt hat.

 

zurück zum Verweis der verstorbene Patient
   


Die Entscheidungen für diesen Fall sind so alt, dass ich sie gar nicht erst im Internet suche.

Eine alte Dame - Witwe - hat einen noch älteren Lebenspartner gefunden, den sie sprichwörtlich tot pflegt. Kurz vor seinem Tod ändert der alte Herr sein Testament und setzt seine Pflegerin zur Alleinerbin ein.

Sehr zum Unwillen seiner leiblichen Kinder, die geraume Zeit nichts mehr mit ihm zu tun hatten.

Im Erbscheinverfahren behaupten sie jedenfalls, dass ihr Vater nicht recht bei Sinnen war, also nicht testierfähig, und dass ihnen das Erbe zustehe.
 

 
In dem amtsgerichtlichen Verfahren tritt schließlich der Sohn der Pflegerin auf, sagt, dass er Arzt sei und dass er den Verstobenen bis zu dessen Tod betreut habe. Dieser sei an seinen altersbedingten biologischen Einschränkungen verstorben und habe bis zuletzt ein klares Bewusstsein gehabt. Seine Einsichts- und Testierfähigkeit sei aus seiner Sicht, des ärztlichen Zeugen, nicht eingeschränkt gewesen.

Die alte Dame gewinnt darauf den Prozess und wird Erbin.



 

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Die prozessunterlegenen Gegner nahmen ihre Niederlage zum Anlass, den Arzt wegen der Offenbarung von Privatgeheimnissen anzuzeigen. Das weise Schlusswort hat der BGH gesprochen, indem er den Arzt freisprach.

Die Begründung: Der Arzt muss selber entscheiden, ob es im mutmaßlichen Interesse seines verstorbenen Patienten ist, Auskünfte über dessen Krankengeschichte, den medizinischen Zustand, die ärztlichen Diagnosen und die Therapie zu machen. Kommt er zu dem Ergebnis, dass dem das mutmaßliche Interesse widerspricht, hat er das Aussageverweigerungsrecht des § 53 Abs. 1 StPO. Kommt der Arzt zu dem Ergebnis, dass es im mutmaßlichem Interesse seines verstorbenen Patienten ist, auszusagen, darf er auch nicht nach § 203 StGB bestraft werden. Die Entscheidung des Arztes darf außerdem von der Rechtsprechung nicht überprüft oder in Frage gestellt werden.
 

 
Wegen der Besonderheiten im Erbscheinverfahren, in dem die Testierfähigkeit des Verstorbenen in Frage steht, stellt der BGH folgende Erwägungen an: War der Patient zum Zeitpunkt seiner Erklärung nicht in seiner Testierfähigkeit eingeschränkt, dann ist es sein fortwirkendes Interesse, dass sein behandelnder Arzt auch genau das bekundet, damit seinem Willen entsprechend verfahren wird. War der Patient hingegen in seiner Testierfähigkeit eingeschränkt, muss er auch deswegen geschützt werden. Sagt der Arzt aus und bekundet, dass der Patient eingeschränkt handlungsfähig war, dann ist genau das auch eine Aussage, die im mutmaßlichen Interesse geboten ist. Sie ist zwar abstrakter, wenn man so will: bevormundend, aber ebenso zum Schutz des Verstorbenen geeignet.

Wie gesagt: Eine weise (und schon sehr alte) Entscheidung.

zurück zum Verweis gefährdete Dritte
   

 
Wie ist mit dem Arzt umzugehen, der von seinem Patienten oder von dessen Untersuchungsergebnissen Kenntnisse erlangt, die ihn befürchten lassen, dass sich der Patient oder Dritte in einer akuten Gefahr befinden? Sein Patient will sich aber nicht selber gegenüber den Strafverfolgungsbehörden offenbaren. Der Arzt hingegen gerät durch sein Wissen in einen tiefen inneren Konflikt. Er weiß, dass er an seine Schweigepflicht gebunden ist und er will sich auch streng an seine Berufspflichten halten. Andererseits sieht er seine eigene Ohnmacht, indem er Befürchtungen hat, dass entweder seinem Patienten oder Dritten existentielle Nachteile drohen, wenn nicht irgendetwas geschieht.

Die einzige strafrechtliche Lösung dieses Konflikts liefert eine Vorschrift mit Ausnahmecharakter. Gemäß § 34 StGB wird derjenige nicht bestraft, der nach seiner inneren Güterabwägung zu der Überzeugung gelangt, dass seine Pflichtwidrigkeit weit hinter dem gefährdeten Interesse überwiegt.
 

 
Diese Vorschrift ist überschrieben mit dem Begriff rechtfertigender Notstand. Sie ist kein Freifahrtschein für jedes gesetzwidrige Handeln, sondern bietet in besonderen Konfliktsituationen und ausnahmsweise einen Rettungsanker, um ungerechte strafrechtliche Folgen zu vermeiden. Entgegen den obigen Ausführungen zur Güterabwägung des Arztes wegen des mutmaßlichen Interesses seines verstorbenen Patienten, die der BGH der Rechtsprechung entzogen hat, ist die Anwendung des § 34 StGB eine ureigene Aufgabe der Strafverfolgung. In diesem Zusammenhang kann sich der Berufshelfer nicht auf seine innere Überzeugungsbildung zurück ziehen, sondern muss die Einzelheiten seiner Er- und Abwägungen kundtun und einer rechtlichen Überprüfung öffnen. Er muss sich rechtfertigen. Dem entgegen kann der zunächst entscheidende Staatsanwalt und womöglich ein oberstes Bundesgericht die Lage anders sehen.
 

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(1) beratende Tätigkeiten

(2) Buchführung beim Steuerberater
 

 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018