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  Detlef 
		Borchers berichtet bei    (1) 
		über eine Studie des Bundeskriminalamts über die "Auswirkungen 
		gesetzlicher Neuregelungen auf die Ermittlungspraxis der 
		Strafverfolgungsbehörden" - AGNES, die urplötzlich aufgetaucht sei 
		und deren Quelle er verschweigt  (2). 
		Sie setze sich vor allem mit der Rechtsprechung zur Wohnraumüberwachung 
		(    großer Lauschangriff), zur  kriminellen Vereinigung und schließlich zur  Onlinedurchsuchung sowie mit der    Überwachung der Telekommunikation auseinander. Dazu werden 
		Anwendungsfälle aus der Praxis analysiert und im Hinblick auf die 
		gesetzlichen Regelungen und die Rechtsprechung betrachtet. 
		 Allein 
		schon Borchers' Bericht ist lesenswert. Soweit er die  Rechtstatsachensammelstelle des BKA - Retasast, 
		der die Autoren angehören, im Anschluss 
		an den Politikwissenschaftler Stephan Heinrich als ein "Lobbyinstrument" 
		der Behörde kritisiert,    das durch 
		gezielte Auswahl der Fälle die Wirkung neuer polizeilicher Befugnisse 
		"beweisen" soll, und die Methode anzweifelt, aus 
		Praxisfällen    ein 
		generelles Vorgehen der Polizei zu destillieren, ist ihm kaum zu 
		widersprechen. Er verkennt jedoch die Bedeutung und Brisanz der Studie, 
		die alle wesentlichen Probleme im Zusammenhang mit    verdeckten Ermittlungen  (3) 
		und der schwierigen Rechtslage anspricht und wenigstens den Versuch 
		unternimmt, sie auf ihre praktischen Umsetzungen zu untersuchen. Unter 
		diesem Gesichtspunkt handelt es sich um eine spannende Lektüre. 
 
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  Die 
		Rechtstatsachenforschung und die Rechtsfolgenabschätzung sind 
		juristische Fachdisziplinen, die aus der Rechtssoziologie und den 
		Verwaltungswissenschaften entstanden sind. Sie widmen sich den Fragen 
		des praktischen Vollzuges von Gesetzen und anderen Rechtsnormen sowie 
		den Auswirkungen, die gesetzliche Vorgaben haben. Sie bewirken ein sinnvolles Gegengewicht zu den abstrakten Kopf- und 
		Morallasten der klassischen Rechtswissenschaften, indem sie nicht 
		nur den einzelnen Regelungsbereich betrachten, sondern auch die 
		"Fernwirkungen" unter bestimmten Aspekten und im Gesamtzusammenhang. Darin unterscheiden sie sich von den polizeilichen 
		Strukturermittlungen, die sich der (mehr) gefahrenabwehrrechtlichen 
		Auswertung und Analyse polizeilich bekannter Tatsachen in Bezug auf 
		Täterbeziehungen und Vorgehensweisen widmen. Sie dienen der 
		Schwerpunktsetzung bei den polizeilichen Aufgaben und sind ebenfalls 
		im Vorfeld strafrechtlicher Ermittlungen angesiedelt. 
		 Die 
		Rechtstatsachenforschung der Polizei ist eine wichtige Ergänzung zu den 
		rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzungen, weil sie von ihrer 
		Praxisnähe profitiert. Ihr Nachteil ist, dass sie gelegentlich einen 
		verkürzten Blick auf polizeiliche Praxisprobleme hat, weil ihr die 
		gerichtliche Praxis fremd und unbekannt ist. 
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  Die große 
		Schwäche der Studie ist ihre perspektivische Ausrichtung - und die macht 
		sie angreifbar. Sie äußert sich in verräterischen Formulierungen wie: 
		 Es 
		bestehen bei den Polizeidienststellen erhebliche Probleme, wie die neuen 
		normativen Vorgaben für die Wohnraumüberwachung zu interpretieren sind 
		(S. 218). 
		 Mit Verlaub: Die "Interpretation" des Rechts im Zusammenhang mit 
		zugegebenermaßen schwierigen Fragen obliegt nicht der Polizei (  §§ 152 Abs. 1 GVG,  163 StPO), sondern der Staatsanwaltschaft und den Gerichten (  §§ 160 StPO,  1 GVG). Die Forderungen an den Gesetzgeber am Schluss der Studie 
		sind berechtigt, weil sie genau die Probleme aufgreifen, die bei der 
		Ermittlungspraxis einerseits und den rechtsstaatlichen Anforderungen an 
		Eingriffsmaßnahmen andererseits auftreten. Sie müssen eingehend 
		diskutiert werden, nicht sternchenzählend, sondern 
		rechtswissenschaftlich und -tatsachenbezogen. Problematisch wird die Diskussion, wenn seitens der Polizei ein 
		Alleinanspruch auf die Bestimmung der Schwerpunkte, die erforderlichen 
		Maßnahmen und deren Durchführung im Zusammenhang mit der Strafverfolgung 
		- zumindest unterschwellig - behauptet oder gelebt wird. Das führt sehr 
		schnell zu einer Überbewertung des Verfolgungsanspruchs (und der damit 
		verbundenen Erfolgspropaganda) gegenüber den verfassungsrechtlichen 
		Freiheitsgarantien und den Grauzonen, die eine demokratische Staatsform 
		akzeptieren muss.
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  Praktische 
		Schwierigkeiten in Bezug auf Personalaufwände, Dolmetscherkosten und 
		technische Beschränkungen sind der Verhältnismäßigkeitsprüfung zwar 
		zugänglich, aber nicht vorrangig. Wenn der Rechtsstaat seinen Bürgern 
		Strafverfolgung garantiert, dann muss er auch die dafür nötigen Mittel 
		zur Verfügung stellen. Das gilt besonders dort, wo in Freiheitsrechte 
		eingegriffen werden darf. Dort dürfen eben nicht nur die Ressourcen 
		bereitgestellt werden, die den Eingriffsmaßnahmen dienen, sondern auch 
		die, die für ihre Durchführung, Überwachung und Nachbearbeitung (z.B. 
		Mitteilungspflichten und gerichtliche Überprüfungen) nötig sind. 
		 Manchen 
		polizeilichen Stäben ist zu empfehlen, nicht nur die wichtige Rolle der 
		Polizei zu betrachten, sondern auch die Gewaltenteilung und das 
		Gesamtsystem der Strafverfolgung. Dabei spielt die Polizei eine wichtige 
		Rolle - aber eben nicht alleine. 
		 Die Studie 
		über die "Auswirkungen gesetzlicher Neuregelungen auf die 
		Ermittlungspraxis der Strafverfolgungsbehörden" scheint diese Übersicht 
		nicht immer zu behalten. Es mag sein, dass besonders der Schlussteil mit 
		den Folgerungen und Forderungen einer breiten redaktionellen Mitzeichung 
		unterworfen gewesen ist. Was das Ergebnis nicht besser macht. 
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