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Juli 2011
03.07.2011 Rechtsprechung
     
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Der Rechtsprechungsreport im Juli beginnt mit einem bemerkenswerten Beschluss des BGH über die deutsche Tatortzuständigkeit: Der versteckte Tatort.
 

 
Der versteckte Tatort
 Handlungseinheit in einer Serie
gegen ausufernde Urteilsgründe

Strafabschläge im Zusammenhang mit der Vollstreckungslösung grenzt der BGH jetzt auf Verfahrensverstöße ein, die auf völkervertrags- oder verfassungsrechtliche Vorgaben beruhen (1) und beugt damit auch übertriebenen Entgegenkommen im Rahmen einer Verfahrensabsprache vor:

 Die Folgen, die Verstöße gegen das Verfahrensrecht nach sich ziehen können, sind grundsätzlich in der Strafprozessordnung abschließend geregelt. Dem Staat ist es insbesondere verwehrt, dem Angeklagten Verfahrensverstöße, die sich auf das Urteil ausgewirkt haben, durch einen Vollstreckungsrabatt gewissermaßen abzuhandeln.


(1) BGH, Beschluss vom 31.05.2011 - 3 StR 97/11
 

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03.07.2011 
Mit einem tiefen Ausflug in den Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches löst der BGH einen zunächst kompliziert wirkenden Streit um die Zuständigkeit deutscher Strafgerichte (1).

Die Angeklagten hatten zunächst von 2000 bis 2003 in 78 Fällen Diamanten minderer Qualität zu überhöhten Preisen an Privatanleger <verkauft> ... Zur Vorbereitung dieser Geschäfte wurde den Kunden zunächst ein kleiner, weißer, hochwertiger Diamant angeboten, verbunden mit der Garantie, diesen gegen Rückzahlung des Kaufpreises zuzüglich eines Bonus (bis 10%) binnen weniger Monate zurück zu nehmen („Opening“). Kunden, die die Werthaltigkeit dieser Diamanten andernorts überprüfen ließen, wurde die Angemessenheit des Kaufpreises bestätigt. Sodann wurden den Kunden - zumeist gegen Verrechnung des für die nunmehr zurückgenommenen hochwertigen Diamanten gezahlten Kaufpreises zuzüglich der vereinbarten Boni - größere Diamanten geringerer Qualität aus der gelblichen und bräunlichen Farbskala zu deutlich überhöhten Preisen verkauft („Loading“).

Dafür verbüßte einer von ihnen Untersuchungshaft. Dessen ungeachtet setzten sie unter Beteiligung einer weiteren Täterin - als Gehilfin ( § 27 Abs. 1 StGB) - ab 2004 die Masche fort, allerdings unter dem Dach einer französischen Firma, und betrogen mindestens 59 Leute aus Österreich und der deutschsprachigen Schweiz. Als ausführende Täter handelten sie jedenfalls im Ausland und ihre Opfer waren durchweg Ausländer.

Auch für die Taten Deutscher im Ausland gilt nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am ausländischen Tatort mit Strafe bedroht ist. Der BGH geht nur knapp auf die insoweit einschlägigen § 146 des Österreichischen Strafgesetzbuches und Art. 146 des Schweizerischen Strafgesetzbuches ein <Rn 13> und wählt dann einen anderen Lösungsweg, weil auch ein inländischer Tatort besteht <Rn 14>:

Die Taten der Angeklagten sind selbständige Verbrechen ( § 12 Abs. 1 StGB) des gewerbsmäßigen Bandenbetruges gemäß § 263 Abs. 5 StGB.

Für jeden der mittäterschaftlich handelnden Angeklagten wird dort ein Tatort begründet, wo einer von ihnen gehandelt hat ( § 9 Abs. 2 StGB).

Das gilt auch für die Handlungen, die sich gesehen nur Vorbereitungshandlungen sind (2).

Der für sich strafbaren Vorbereitungshandlung der Verbrechensabrede ( § 30 Abs. 2 StGB) steht nicht entgegen, dass Zeit, Ort und Modalitäten der geplanten Straftaten im Einzelnen noch offen blieben, denn die Verabredung eines Verbrechens setzt nur voraus, dass sie ... in ihren wesentlichen Grundzügen konkretisiert ist (3).

Auch die dritte, nur als Gehilfin vorgesehene Frau kann sich an einer Bande beteiligen (4), ohne dass sie sich schon mit der Abrede im Vorbereitungsstadium strafbar macht (5).

Anders gesagt: An der Verbrechensabrede müssen sich mindestens zwei Mittäter ( § 25 Abs. 2 StGB) beteiligen (6). Bei der Tatbegehung zählt aber auch der Gehilfe zu der mindestens dreiköpfigen Bande (7).

Die strafbare Vorbereitungshandlung der Verbrechensabrede ( § 30 Abs. 2 StGB) tritt zwar subsidiär hinter dem vollendeten Verbrechen zurück (8).

Das gilt aber nicht für den mit der Abrede begründeten Tatort, an der die beiden Angeklagten als Mittäter beteiligt waren.

Elegante Lösung! 


(1) BGH, Beschluss vom 14.04.2011 - 1 StR 458/10

(2) Verweis auf BGH, Beschluss vom 20.01.2009 - 1 StR 705/08.

(3) Verweis auf BGH, Urteil vom 28.06.2007 - 3 StR 140/07

(4) Verweis auf BGH, Beschluss vom 19.04.2006 - 4 StR 395/05

(5) BGH, Urteil vom 04.02.2009 - 2 StR 165/08

(6) Ebenda (5)

(7) BGH, Beschluss vom 22.03.2001 - GSSt 1/00, S. 22.

(8) Verweis auf BGH, Urteil vom 04.12.1992 - 2 StR 442/92.
 

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10.07.2011 
In einer wieder gesperrten Entscheidung (1) hat der BGH erneut zu den Fragen der Tatbeteiligung, Tatmehrheit und Handlungseinheit in einer Tatserie Stellung genommen:

Maßgeblich ist dabei der Umfang seines Tatbeitrages oder seiner Tatbeiträge. Erfüllt ein Mittäter hinsichtlich aller oder einzelner Taten einer Deliktsserie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten - soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt - als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Allein die organisatorische Einbindung des Täters in ein betrügerisches Geschäftsunternehmen ist nicht geeignet, die Einzeldelikte der Tatserie rechtlich zu einer Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen (vgl. BGH NStZ 2010, 103 (2)). Erbringt der Täter dagegen im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeldelikte seiner Mittäter gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm diese gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden.

Die Argumentation ist nach wie vor dieselbe, die bei der Bereitstellung eines Firmenmantels galt, den dann andere Mittäter für mehrere Betrugstaten missbrauchen (3). Beschränkt sich der Täter auf eine einzige Unterstützungshandlung, die sich auf alle Serientaten der Mittäter fördernd auswirkt, so hat der Täter dennoch nur eine Tat begangen. Liefert er zu jeder Tat einen eigenen Handlungsbeitrag, so werden auch sie zu Einzeltaten und das unabhängig davon, dass er daneben eine alle Taten fördernde "Gesamthandlung" begangen hat. Der individuelle Beitrag löst dann die Klammerwirkung der insgeamt fördernden Handlung wieder auf.

Diese Grundsätze gelten sowohl für die Mittäterschaft wie auch für die bandenmäßige Begehung. Aufgrund der Gleichbehandlung von Bande und Vereinigung, die der BGH anzustreben scheint (4), dürften sie auch für die kriminelle Vereinigung gelten. Auch ihre Beteiligten sind an ihrem individuellen Tatbeitrag zu messen und nicht schlechthin wegen eines einheitlichen Organisationsdeliktes (5).


(1) BGH, gesperrt; die Entscheidungsdaten werden bei Wiederveröffentlichung nachgeliefert.

(2) BGH, Beschluss vom 29.07.2009 - 2 StR 160/09

(3) gemischte Bande. Tatbeiträge, 25.07.2008;
BGH, Beschluss vom 29.04.2008 - 4 StR 125/08.

(4) Streaming. Kriminelle Vereinigung, 15.06.2011

(5) BGH, Beschluss vom 19.04.2011 - 3 StR 230/10, Rn 14
  

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09.07.2011 
Eine weit verbreitete Angst ist die, dass der BGH ein Urteil deshalb aufheben könnte, weil die schriftlichen Gründe zu knapp, unvollständig oder unklar sind. Dem tritt der 1. Strafsenat entgegen (1):

Die schriftlichen Urteilsgründe dienen weder der Darstellung eines bis in verästelte Einzelheiten aufzuarbeitenden "Gesamtgeschehens" noch der Nacherzählung des Ablaufs der Ermittlungen oder der Dokumentation des Inhalts der Beweisaufnahme, sondern sie sollen dem Leser die wesentlichen, die Entscheidung tragenden tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen ohne aufwändige eigene Bemühungen erkennen lassen ( BGH, Beschluss vom 3. Februar 2009 - 1 StR 687/08, ...; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 - 2 StR 470/06, ...; BGH, Beschluss vom 23. April 1998 - 4 StR 106/98, ...).

Diese beruhigenden Worte hört man gern und das besonders dann, wenn mit ihnen die Erwartung verbunden ist, man möge dem BGH aufwändige eigene Bemühungen ersparen. Spätestens wenn das Urteil dann "platzt", kehrt auch die Katerstimmung ein. So bleibt die Frage, ob die Ermahnung des höchsten Gerichts wirklich hilft. Positive Kritik gibt es nämlich selten und nur sie würde die Beispiele liefern, an denen sich die Praxis wirklich orientieren könnte.


(1) BGH, Beschluss vom 08.06.2011 - 1 StR 122/11, S. 3 f.
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018