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Juni 2012

26.06.2012 Rechtsprechung
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift Strafklageverbrauch, Geständnisse und die Last des Richters
 

 
Die Justiz zeigt ihre bunte Vielfalt und die Fundstücke aus der Rechtsprechung reichen vom Wettbewerbsrecht bis zur Frage nach der richterlichen Arbeitslast.

Besonderes Glück hat ein BtM-Händler gehabt. Er ist mit einer Geldstrafe wegen Trunkenheit im Straßenverkehr davon gekommen, obwohl ihm eigentlich mindestens 5 Jahre Freiheitsstrafe gedoht hätten.

 
Steuerhinterziehung in Millionenhöhe
wettbewerbswidrige Unterwerfung
rechtsradikale Zeitgeschichte (NSU)
Strafklageverbrauch verdrängt Verbrechen
Hinterleute in uneigentlichen Organisationen
Vorbereitung und Versuch beim Betrug
Geständnis und Verfahrensabsprache

proaktives Selbstmanagement verhindert die richterliche Überlastung
 

30.06.2012 Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht, hat der BGH unlängst ausgeführt und jetzt noch einmal wiederholt.
 
Steuerhinterziehung in Millionenhöhe, 24.03.2012;
BGH, Urteil vom 22.05.2012 - 1 StR 103/12
 
 

Gegen überzogene Formulierungen in Unterwerfungserklärungen hat sich im Dezember 2011 der BGH gewandt.

BGH, Urteil vom 15.12.2011 - I ZR 174/10

Schlägt der Abmahnende dem wegen eines Wettbewerbsverstoßes Abgemahnten in einer vorformulierten Unterlassungsverpflichtungserklärung für jeden Fall der Zuwiderhandlung das Versprechen einer Vertragsstrafe vor, die unabhängig von einem Verschulden verwirkt sein soll, kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs missbräuchlich und nach § 8 Abs. 4 UWG unzulässig ist. <Leitsatz 1>

Weitere Einzelheiten:

Markus Kompa, BGH erschwert Abmahnern die Abzocke, Telepolis 07.06.2012

 
 

Von zeitgeschichtlicher Bedeutung sind zwei weitgehend gleichlautende Beschlüsse des BGH, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialistischen Untergrundes - NSU - auseinander setzen:

BGH, Beschluss vom 25.05.2012 - AK 14/12
BGH, Beschluss vom 14.06.2012 - AK 17/12

 


 Mit betrunkenem Kopf (1,43 gr °/oo BAK) leerte der Angeklagte sein Marihuana-Depot im Wald (317 gr) und wurde bei der anschließenden Autofahrt erwischt. Dabei hatte er nicht nur das Rauschgift, sondern griffbereit in der Ablage der Fahrertür auch noch ein beidseitig geschliffenes Messer mit einer Klingenlänge von 12 cm. Statistik-freundlich und im Interesse einer fachgerechten Behandlung machte die Polizei daraus (mindestens) zwei (aufgeklärte) Ermittlungsverfahren. Darauf wurde er zunächst wegen der Trunkenheitsfahrt zu einer Geldstrafe verurteilt und dann folgte die Anklage wegen des Besitzes einer nicht geringen Menge Rauschgift ( § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Das ist ein Verbrechen und ist mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht.

Die anschließende Verurteilung hat der BGH wegen Strafklageverbrauchs eingestellt. Die Verurteilung wegen eines Vergehens der Trunkenheitsfahrt führte zum Verbot der Doppelbestrafung ( Art 103 Abs. 3 GG).

BGH, Beschluss vom 03.05.2012 - 3 StR 109/12

Man kann noch einen drauf setzen: Auf dem Beifahrersitz saß der Kunde, der die Gesamtmenge des Gifts abnehmen wollte. Der Angeklagte hatte also nicht nur das Gift, sondern auch den Abnehmer im Auto und auch noch das griffbereite Messer. Damit sind alle Voraussetzungen dafür gegeben, dass er unter Mitführung eines verletzungsgefährlichen Gegenstandes mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel betrieb und dafür droht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von mindestens 5 Jahren an ( § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG).

Schwein - gehabt!

 
 

Seit geraumer Zeit versucht der BGH, das uneigentliche Organisationsdelikt zu fassen. Dabei geht es darum, die "Köpfe" strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, die sich an der kriminiellen Aufbauorganisation beteiligen, die Planung beherrschen, die Strippen ziehen und sich bei der finalen Ausführung zurückhalten, um sich keine Finger schmutzig zu machen. Die Meilensteine, die der BGH gesetzt hat, sind die neue Definition der Bande, der Schießbefehl an der DDR-Grenze und viele kleine Äußerungen, die sich mit den Details befassen.

Jetzt hat sich der BGH mit einem Anlagemodell wegen der Erzeugung von Strom befassen müssen, das offenbar viel Geld der Anleger verbrannt hat. Die angefochtene Entscheidung sagt aber zu wenig über die (falschen) Vorgaben aus, mit denen der Initiator des Anlagemodells die Klinkenputzer losgeschickt hat. Das reicht dann nicht zu seiner Verurteilung:

BGH, Beschluss vom 09.05.2012 - 5 StR 499/11

 
 

Der Tatbestand des Betruges ist schwierig und ich habe zu ihm meinen persönlichen Schnelltest entwickelt:

Hat er gelogen?
Was hat er dafür bekommen?

Der Profi, der bei einer der beiden Antworten ins Stottern gerät, merkt danach genau, dass ein sprichwörtlicher Wurm in seinen Gedanken ist. Der Schnelltest kann nicht alle ausgefeilten Fazetten des Tatbestandes ausloten, hilft aber dagegen, sich zu verrennen.

Eine dieser gemeinen Fazetten betrifft die Abgrenzung zwischen dem straflosen Vorbereitungsstadium, in dem der Täter zwar schon lügt, aber das Opfer erst noch einlullt und noch immer einen Rückzieher machen kann, und dem Beginn des strafbaren Versuches. Damit beschäftigte sich unlängst das
OLG Hamm, Beschluss vom 11.08.2011 - III-3 RVs 54/11:

1. Für den Beginn eines strafbaren Betrugsversuchs genügt es zwar regelmäßig, dass der Täter bereits ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes verwirklicht; jedoch muss das, was der Täter zur Verwirklichung seines Vorhabens getan hat, zu den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen und deren beabsichtigter Verwirklichung in Beziehung gesetzt werden.

2. Bei mehrgliedrigen Geschehen ist für den Beginn des Betrugsversuchs erst diejenige Täuschungshandlung maßgeblich, die den Getäuschten unmittelbar zur irrtumsbedingten Vermögensverfügung bestimmen und den Vermögensschaden herbeiführen soll.

3. Versuchter Betrug liegt noch nicht vor, solange der Täter lediglich solche Täuschungshandlungen vornimmt, die weder nach der wirklichen Sachlage noch nach seiner Vorstellung dazu ausreichen, denjenigen Irrtum hervorzurufen, der den Getäuschten zu der schädigenden Vermögensverfügung bestimmen und damit den Schaden herbeiführen soll.

Siehe auch: Vorbereitung und Versuch beim Betrug, 08.02.2011

 
 

Auffallend häufig muss sich der BGH mit Urteilen beschäftigen, denen eine Verfahrensabsprache und ein umfassendes Geständnis des Angeklagten voraus gegangen ist. Nach § 257c Abs. 2 S. 2 StPO soll der Bestandteil jeder Verständigung ein Geständnis sein. Darüber ist schon viel gestritten worden, weil "soll" nicht "muss" heißt und deshalb auch eine Verständigung ohne Geständnis möglich sein könnte. Dagegen wendet sich jetzt:
BGH, Beschluss vom 23.05.2012 - 1 StR 208/12, Rn 16

Ein im Rahmen einer Verständigung abgelegtes Geständnis ist die Voraussetzung dafür, dass die Strafe nur dem zuvor genannten Strafrahmen zu entnehmen ist; es führt aber nicht dazu, dass eine andere als eine die Untergrenze des Strafrahmens überschreitende Strafe nicht mehr verhängt werden dürfte. Einen entsprechenden Vertrauenstatbestand hat das Gericht nicht geschaffen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 - 1 StR 345/10).
 

zurück zum Verweis proaktives Selbstmanagement verhindert die richterliche Überlastung
 

 
Der Besetzungsstreit um den Vorsitz des 2. Strafsenats des BGH hat gewisse satirische Züge ...
Keine Farce: Besetzungsstreit beim BGH, 04.02.2012
... und jetzt auch das BVerfG erreicht:
BVerfG, Beschluss vom 23.05.2012 - 2 BvR 610/12, 625/12.

Dabei ging es um die Frage, ob der gegenwärtige Doppelvorsitz des VRiBGH Dr. Ernemann im 2. und im 4. Strafsenat eine überobligatorische Belastung darstelle, so dass beide Strafsenate unvollständig besetzt seien und der gesetzliche Richter nicht mehr gewährleistet sei. Die klagenden Angeklagten sorgen sich fürsorglich und nicht ganz selbstlos um den Gesundheitszustand des hohen Kollegen.

Das BVerfG referiert die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur richterlichen Arbeitsbelastung und hebt ihre Selbstverantwortung hervor:
 

BVerwG: Der Richterberuf als gewissermaßen Nebenbeschäftigung neben der Beanspruchung als Hausfrau und Mutter <ist> nicht besonders geeignet.

(1) Der vom Richter zu leistende Arbeitseinsatz bestimmt sich grundsätzlich nach dem ihm verliehenen konkreten Richteramt und den ihm in der richterlichen Geschäftsverteilung zugewiesenen Aufgaben ( BVerwGE 78, 211 <213>). Allerdings sind auch Richter nicht verpflichtet, sämtliche ihnen nach dem Geschäftsverteilungsplan übertragenen Aufgaben in vollem Umfang sofort und ohne Beschränkung ihres zeitlichen Einsatzes zu erledigen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. November 2005 - 1 A 494/04 ...; OVG Saarland, Beschluss vom 24. Februar 1992 - 1 W 2/92 -, juris, Rn. 11). Die Möglichkeit, die Arbeitszeit als Ausfluss der richterlichen Unabhängigkeit selbst zu gestalten - soweit die Anwesenheit in der Dienststelle nicht durch bestimmte Tätigkeiten (Beratungen, Sitzungsdienst, Bereitschaftsdienst usw.) geboten ist -, bedeutet nämlich nicht, dass ein Richter zeitlich unbeschränkt zur Arbeitsleistung verpflichtet ist ( BVerwG, Beschluss vom 21. September 1982 - 2 B 12/82 ...). Vielmehr orientiert sich die von einem Richter zu erbringende Arbeitsleistung pauschalierend an dem Arbeitspensum, das ein durchschnittlicher Richter vergleichbarer Position in der für Beamte geltenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bewältigt (vgl. BVerwGE 78, 211 <213 f.>; BVerwG, Beschluss vom 21. September 1982 - 2 B 12/82 -, nach juris, Rn. 3; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - RiZ(R) 1/09). <Rn 17>

Überschreitet das zugewiesene Arbeitspensum die so zu bestimmende Arbeitsleistung - auch unter Berücksichtigung zumutbarer Maßnahmen wie zum Beispiel eines vorübergehenden erhöhten Arbeitseinsatzes - erheblich, kann der Richter nach pflichtgemäßer Auswahl unter sachlichen Gesichtspunkten die Erledigung der ein durchschnittliches Arbeitspensum übersteigenden Angelegenheiten zurückstellen. Die richterliche Unabhängigkeit bleibt dabei gewährleistet, indem der Richter - nach entsprechender Anzeige der Überlastung - für die nach pflichtgemäßer Auswahl zurückgestellten Aufgaben und die dadurch begründete verzögerte Bearbeitung dienstaufsichtsrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann (vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 24. Februar 1992 - 1 W 2/92 -, juris, Rn. 11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. November 2005 - 1 A 494/04 -, juris, Rn. 22 ff.; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - RiZ(R) 1/09 ...). <Rn 18>

(2) Ob sich ein überdurchschnittlich leistungsfähiger oder leistungsbereiter Richter letztlich darauf beruft, nur mit einem durchschnittlichen Arbeitspensum belastet zu werden, oder sein erhöhtes Leistungsvermögen beziehungsweise seine erhöhte Leistungsbereitschaft zur Bewältigung etwaiger überobligatorischer Aufgaben einsetzt, ist diesem überlassen und seinerseits Ausfluss der richterlichen Unabhängigkeit. Auch wenn Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dem Rechtssuchenden die materielle Gewähr eines unabhängigen Richters bietet, macht ihn das nicht zum Interessenwalter des Richters und er kann nicht eine aus dessen Arbeitsbelastung abgeleitete Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit geltend machen. <Rn 19>

Ein Blick in die Quellen lohnt sich, weil die Pensenberechnung seit Jahrzehnten ein Quell ständiger Freude ist. Die Klagen von der Front werden in aller Regel zurückgewiesen, die Landesregierungen wegen der Schaffung ausreichender Stellen nicht in die Pflicht genommen und die Eingangsrichter mit dem Argument abgefrühstückt: Ihr seid vom Richterprivileg bevorteilt und nutzt es gefälligst, indem Ihr Eure Aufgaben priorisiert.

Eine Ausnahme machte das BVerfG 2001 im Zusammenhang mit dem Richtervorbehalt und der Anordnung von Blutproben und Durchsuchungen außerhalb üblicher Dienstzeiten:

Die Landesjustiz- und die Gerichtsverwaltungen und die Ermittlungsrichter haben sicherzustellen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Sie müssen die Voraussetzungen für eine tatsächlich wirksame präventive richterliche Kontrolle der Wohnungsdurchsuchungen schaffen.

BVerfG, Beschluss vom 20.02.2001 - 2 BvR 1444/00, Rn 12; Gefahr im Verzug

Was hat das gebracht? Gar nichts!

Pauschalierter Schadensersatz ist billiger als Personal. Das dürfte das schlagende Argument für die Schaffung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewesen sein. Mit den neuen Entschädigungsansprüchen darf sich die operative und die Spruchpraxis jetzt auch noch herumschlagen - ohne dass neue Ressourcen geschaffen wurden.
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018