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Dezember 2008
23.12.2008 Onlinedurchsuchung
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§ 20k Abs. 5 BKAG-E (3):
Die Maßnahme nach Absatz 1 darf nur auf Antrag des Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seines Vertreters durch das Gericht angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung durch den Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seinen Vertreter getroffen werden. In diesem Fall ist die gerichtliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Soweit diese Anordnung nicht binnen drei Tagen durch das Gericht bestätigt wird, tritt sie außer Kraft.  (4)
 
 
Ermittlungsstufen:
1.

Konventionelle TKÜ: Feststellung, dass überhaupt nur kryptiert kommuniziert wird.
 

2. Quellen-TKÜ: Feststellung, dass auch die Dokumente/Anlagen der E-mails verschlüsselt übermittelt werden, deren Verschlüsselung durch die Quellen-TKÜ nicht "geknackt" wird.
 
3. Da die ZP die verschlüsselten Emails/Anlagen/Dokumente auf der Festplatte speichert, muss mit einer Online-DS auf diese Daten zugegriffen werden.

S. 11 (4)

 
Kaum sind die Änderungen am BKA-Gesetz parlamentarisch abgesegnet, wird auch schon für den nächsten Kriegsschauplatz aufgerüstet. Ihm geht es um die Frage der Eilentscheidung wegen einer solchen Maßnahme (1).

Der juristische Begriff ist die Gefahr im Verzug - GiV - und die besteht, wenn jedes weitere Zuwarten wegen einer Eingriffsmaßnahme entweder befürchten lässt, dass ihr Erfolg entfällt oder sich die Gefährlichkeit einer Situation unkontrollierbar eskalieren könnte (2). Soweit das Gesetz es zulässt, darf in diesen Fällen anstelle des regelmäßig berufenen Richters ein anderer die Eilentscheidung treffen. Im Strafverfahren sind das immer die Staatsanwaltschaft und meistens auch ihre Ermittlungspersonen ( § 152 Abs. 1 GVG).

Die Erfahrungen mit der Rasterfahndung zeigen, dass sie jedenfalls noch nie bei GiV angeordnet wurde.

In der parlamentarischen Auseinandersetzung werden die Szenarien eine besondere Bedeutung gespielt haben, die in dem Änderungsantrag des Innenausschusses vom 05.11.2008 hervorgehoben werden [S. 10 ff. (5)]. Sie sind geprägt von den erfolgten und fehlgeschlagenen Bombenanschlägen in europäischen Großstädten und heben die Online-Durchsicht als letztes verfügbares Mittel hervor (Ultima Ratio), wenn andere Eingriffsmaßnahmen einschließlich der Quellen-TKÜ erfolglos geblieben sind (siehe links am Beispiel verschlüsselter Anlagen zu E-Mails).
 

 
Die folgenden Fallbeispiele sind sehr speziell. Eines haben sie gemeinsam: Alle Überwachungsmaßnahmen an der Quelle benötigen eine Vorlaufzeit für die Gestaltung der Remote Forensic Software - RFS. Sie können nicht aus dem Stand heraus zum Einsatz kommen, sondern verlangen nach Ermittlungen und Kenntnissen über das Zielsystem und die Eigenarten der Zielperson. Deshalb ist wegen der Erstmaßnahme gegen ein Zielsystem grundsätzlich keine Gefahr im Verzug zu erwarten.

Die Fallkonstellationen, die für Eilentscheidungen angeführt werden, gehen davon aus, dass entweder

ein Quelleneingriff bereits stattgefunden hat, aber erfolglos war und deshalb beendet wurde (1.; S. 12),
ein Quellenzugriff innerhalb der 3-Monats-Frist des Beschlusses zwar vorbereitet, aber nicht durchgeführt wurde (2.; S. 13),
plötzlich eine günstige Lage für den Einsatz der RFS entsteht (3.; S.14) oder
eine Erweiterung des Quellenzugriffs erfolgen muss (4.; S.15).

Die dritte Konstellation ist eher kein Beispiel für eine GiV, weil sich die "Gefahr" am Täterverhalten und nicht an der Verfügbarkeit technischer Mittel bei der Polizei orientiert.

Ob diese Konstellationen wirklich noch immer im Bereich der Gefahrenabwehr angesiedelt sind, ist fragwürdig ( Vorrang der StPO).
 

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BVerfG, Urteil vom 20.01.2001 - 2 BvR 1444/00 (6)
Art. 13 GG verpflichtet alle staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Defiziten der Wirksamkeit müssen sowohl die Gerichte - die einzelnen Ermittlungsrichter ebenso wie die für die Bestellung der Ermittlungsrichter und die Geschäftsverteilung zuständigen Präsidien (§ 21 e Abs. 1 Satz 1 GVG) - als auch die Strafverfolgungsbehörden entgegenwirken. Zudem sind die für die Organisation der Gerichte und für die Rechtsstellung der dort tätigen Ermittlungsrichter zuständigen Organe der Länder und des Bundes aus Art. 13 GG gehalten, die Voraussetzungen für eine tatsächlich wirksame präventive richterliche Kontrolle zu schaffen. (Rn. 29)
 

 
Verbunden ist die Diskussion mit der Frage, ob überhaupt ein Richter erreichbar ist, um bei GiV zu entscheiden (7). Das BVerfG hat zur Gewährleistung des Richtervorbehalts mehrfach Stellung genommen und sie als gemeinsame Aufgabe der Justizverwaltung und gerichtlichen Selbstverwaltungsgremien bezeichnet ( siehe links). Danach müsse jedenfalls zur Tageszeit ( § 104 Abs. 3 StPO) ein richterlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet und erreichbar sein (8).

Die Praxis der Bereitschaftsdienste wirft eigene Fragen auf. Bei den Staatsanwaltschaften ist er häufig so organisiert, dass der Staatsanwalt verpflichtet wird, über Tage hinweg und rund um die Uhr per Mobiltelefon erreichbar zu sein. Das ist kein Schichtdienst zu ungünstigen Tageszeiten, sondern eine Qual.
 

 
Zudem stellt sich die Frage, ob zunächst ein Staatsanwalt und sodann ein Richter bei einer Rufbereitschaft eine sachgerechte und abgewogene Entscheidung treffen kann. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt wird von der Polizei gefiltert übermittelt und es obliegt in aller Regel der Berufserfahrung und dem Verhandlungsgeschick des Staatsanwalts, alle für die Sachentscheidung bedeutsamen Einzelheiten zu erfragen. Je komplizierter jedoch die Eingriffsvoraussetzungen sind, desto umfassender müssen sie unter Zeitdruck auch abgefragt und gewürdigt werden.

Interessant könnte die Diskussion werden, die unlängst im Europaparlament wegen der Bereitschaftsdienste und ihre Anrechnung auf die Arbeitszeit geführt wurde (9). Gegen eine volle Anrechnung sprechen sich sich besonders die Regierungsvertreter aus. Sie verlangen nach einer Unterscheidung zwischen inaktiven und aktiven Zeiten und wollen nur die aktiven auf die Arbeitszeit anrechnen, nicht auch die reinen Wartezeiten.
 

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(1) Twister, BKA, BDK, Lügen und Onlinedurchsuchungen, Telepolis 22.12.2008;
Stefan Krempl, Kripo hält BKA-Gesetz für kaum mehr umsetzbar, Heise online 22.12.2008

(2) BVerfG, Urteil vom 20.01.2001 - 2 BvR 1444/00;
Gefahr im Verzug ist also immer dann anzunehmen, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde. (Rn 34)

(3) Fassung des Entwurfs in der BT-Drs. 16/10121 vom 13.08.2008, S. 9

(4) Das BMI hat am 19.12.2008 gemeldet: Die Eilfallregelung bei der Onlinedurchsuchung wird gestrichen. Das heißt, dass ausnahmslos eine vorherige richterliche Anordnung dieser Maßnahme erforderlich ist.
Bundesrat und Bundestag beschließen Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, BMI 19.12.2008
 

 
(5) Nach dem nicht offiziell veröffentlichten Änderungsantrag der BT-Abgeordneten Dres. Uhl und Wiefelspütz vom 05.11.2008   ist die Eilbefugnis des PräsBKA noch enthalten.
(unsichere Quelle)

(6) (2)

(7) ständige Verfügbarkeit als blindes Leitbild;
siehe auch Gefahr im Verzug

(8) BVerfG, Beschluss vom 10.12.2003 - 2 BvR 1481/02, Rn 13

(9) Parlament kämpft gegen Dauerarbeit, netzeitung.de 17.12.2008
  

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018